Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kandinsky, Wassily
Kandinsky: 1901 - 1913 — Berlin, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27676#0115
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
malen. Es quälte mich. Ich nahm nach Wochen
immer wieder die Entwürfe vor die Augen und immer
fühlte ich wieder, daß ich unreif bin. Nur mit den
Jahren habe ich gelernt, in solchen Fällen Geduld zu
zeigen und nicht zu versuchen, die Aufgabe übers
Knie zu brechen.

Und also erst nach beinahe fünf Monaten saß
ich vor dem zweiten größeren Entwurf in der
Dämmerung und sah plötzlich vollkommen klar, was
noch fehlte — das war der weiße Rand.

Ich hatte sogar Angst, diese Tatsache zu glauben,
ging aber doch sofort in mein Farbengeschäft und
bestellte die Leinwand. Die Zweifel wegen der
Größe der Leinwand haben höchstens eine halbe
Stunde gedauert (Länge 160? 180? 200?).

Diesen weißen Rand habe ich ebenso kapriziös
gebracht, wie er mir von selbst vorkam: links unten
Abgrund, daraus steigende weiße Welle, die plötzlich
fällt, dann die rechte Seite des Bildes in faul sich
schlängelnder Form umfließt, oben rechts einen See
bildet (wo das schwarze Kochen entsteht) und zur
linken oberen Ecke verschwindet, um als weiße
Zacken zum letzten Mal und definitiv auf dem Bild
zu erscheinen.

Da dieser weiße Rand die Lösung des Bildes
war, so habe ich nach ihm das ganze Bild genannt.

Mai 1913

XXXXI
 
Annotationen