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Karo, Georg
Religion des ägäischen Kreises — Leipzig [u.a.], 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.14548#0010
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VI

entwickelt und setzt einen ausgebildeten Seelen-
glauben voraus. Damit hängt die durchgehende
Sitte zusammen, die Leichen unverbrannt zu
bestatten. Auf dem Inselchen Mochlos im
Osten der kretischen Nordküste sind geräumige
rechteckige, flach gedeckte Grabkammern aus-
gegraben worden, die offenbar die Häuser der
Lebenden nachbilden und mehrere, nicht sehr
zahlreiche Leichen mit ungemein reichen Bei-
gaben enthielten: offenbar die Grüfte besonders
vornehmer Familien. Dagegen bietet die große
mittelkretische Ebene ■ der Messarä, in der sich
später Phaistos und Gortyn erhoben, einen
ganz anderen Grabtypus, der vereinzelt auch
an der Nordküste nachweisbar ist (Pyrgos öst-
lich von Knossos). Hier erscheinen gewaltige
Rundbauten, aus rohen Steinen in Lehmbettung
errichtet und mit steinernen Türen versehen.
Nur die Sockel sind erhalten (Abb. 19). Ihr Durch-
messer schwankt zwischen 5 und 13 Metern; es
läßt sich nachweisen, daß auch der Oberbau
aus Steinen bestand, die eine Kuppelwölbung
bildeten. Wahrscheinlich ist dieser merk-
würdige Grabtypus, wie manche anderen Züge
der frühen südkretischen Kultur, nordafrika-
nischen Einflüssen zuzuschreiben. Denn weder
sind runde Hütten als Vorbilder solcher Grab-
bauten auf Kreta nachweisbar, noch finden sich
im III. Jahrtausend entsprechende Grüfte an
anderen Stellen des ägäischen Gebietes, mit
alleiniger Ausnahme einer Nekropole der Insel
Syra mit winzigen „Kuppelgräbern", an Stelle
der sonst auf den Inseln üblichen Steinkisten-
gräber (Abb. 17, ein darin bestatteter liegender
Hocker Abb. 18). Die Kuppelgräber der
Messarä waren Stammesgrüfte und bargen zum
Teil viele Hunderte von Leichen. Die Toten
wurden wohl einfach auf die Erde gelegt, nicht
ganz selten erscheinen schon hier tönerne Särge,
Vorläufer der in spätminoischer Zeit häufigen
sog. Larnakes (Abb. 21). — An religiös wich-
tigen Beigaben enthalten die frühminoischen
Gräber steinerne und tönerne Idole, teils ganz
plumper formloser Art, teils merkwürdige, unten
keilförmig zugespitzte Figuren, die an früh-
ägyptische erinnern, endlich auch männliche
und weibliche Figürchen in der von späteren
Monumenten reichlich bekannten kretischen
Tracht (die Männer im Schurz, die Frauen lang-
gewandet, Abb. 11, 12). Auch marmorne
Inselidole und kretische Nachbildungen davon
sind nicht selten (Abb. 10, 13). Merkwürdig
ist ihr Fehlen in dem den Kykladen benach-
barten Mochlos. Dort findet sich in einem
frühen Grabe die älteste uns erhaltene Gruppe
winziger Tongefäße für Opfer an Trank und
Speise ; diese werden dann bald durch ungemein
feine und kostbare Väschen aus buntem Gestein

abgelöst, von denen die schönsten aus Mochlos,
aber eine Reihe wertvoller und formal sogar
noch interessanterer Stücke aus der Messarä.
stammen (Abb. 20, 22). Auch kleine Doppei-
beile, sicher sakralen Gebrauchs, finden sich
in diesen Grüften. Unter den sehr zahlreichen
Petschaften trägt eines eine Nachbildung der
ägyptischen Nilpferdgöttin Tueris (Xanthu-
dides, VaultedTombs of Mesarä Taf. XIV 1075).
Sonst läßt sich religiöse Bedeutung bei diesen
frühen Siegelbildern, im Gegensatz zu späteren,
kaum nachweisen. Die Leichenbestattung bleibt
in dem ganzen ägäischen Gebiet bis ans Ende
der minoisch-mykenisehen Kultur allein üblich,
die Verbrennung ist erstnachmykenischerBrauch.

Die mittelminoische Periode be-
ginnt kurz vor 2000 v. Chr. (MM. I etwa
2100—1900). In diese Zeit gehören zwei
kleine einfache Heiligtümer auf hohen Berg-
gipfeln : Petsofä südlich von Palaikastro an der
Ostküste Kretas, Juktas südöstlich von Knossos,
wo in griechischer Zeit das Grab des Zeus
gezeigt wurde. Es sind einfache Bezirke mit
niedrigen Umfassungsmauern, ohne Knltbauten
(Abb. 24). Kostbare Beigaben fehlen gänzlich.
Es finden sich fast nur Votivterrakotten, dar-
unter sind neben Figürchen von Männern und
Frauen besonders die tönernen Nachbildungen
einzelner menschlicher Gliedmaßen von Petsofä
(Abb. 25) bedeutsam: hier wurde also eine
Heilgottheit verehrt; welchen Geschlechtes sie
war, läßt sich nicht sagen, da weder von Dar-
stellungen noch gar von einem Kultbild irgend-
welche Spuren gefunden wurden. Ins MM. I
gehören auch einige Kulträume des älteren
Palastes von Phaistos (Plan Abb. 42 Nr. 2,
Abb. 26, 31), die vom jüngeren Palast über-
baut waren. Es sind winzige Kämmerchen,
deren wichtigstes einige steinerne und tönerne
Votivgefäße enthielt, ferner eine offenbar als
Horn im Kult gebrauchte Tritonmuschel (vgl.
Abb. 80) und einen merkwürdigen tönernen
Opfertisch mit kleiner Höhlung für Weihegüsse
in der Mitte und eingestempelten Doppelspiralen
und kleinen Stierbildern ringsum (Abb. 27, vgl.
die frühminoischen Gefäße für Weihegüsse
Abb. 20, 22). Auf einem hohen zweistufigen
Altar aus großen Steiublöcken, der in der Nord-
westecke des großen Mittelhofes im jüngeren
Palast von Phaistos steht (Abb. 28), lagen
noch bei der Ausgrabung ganz altertümliche
Tonplatten (MM. I) mit aufgesetzten Väschen
für Weihegüsse (Abb. 29), ein sehr wertvoller
Beweis für das ununterbrochene Fortleben des
Kultes vom Anfang des II. Jahrtausends bis
zum Ende der minoischen Kultur. Auch in
einem Landhause derselben Epoche (MM. I) zu
Chamaizi im östlichen Kreta scheint ein Zimmer
 
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