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Kauffmann, Hans
Albrecht Dürers rhythmische Kunst — Leipzig: Verlag von E. A. Seemann, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.59482#0148
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welche die Lokalfarben dämpft und verbindet, noch die einer Ver-
schmelzung, welche durch wechselseitiges Ineinanderschweben und
gegenseitiges Umfärben der Lokaltöne sich ergibt, noch schließlich
die einer Wohlgefälligkeit, welche durch Auswahl einiger weniger von
Natur fürs menschliche Auge zueinander passender Farben erreicht
wird, sondern Dürers Harmonie geht aus dem Rhythmus her-
vor, der jeder einzelnen Farbe ihre Selbständigkeit beläßt, aber die
Buntheit bezähmt, indem er jeden Ton als Stufe einer durchgehen-
den Skala verwertet und die artverschiedenen Töne in ihrem Sätti-
gungsgrad gruppenweise einander angleicht, wobei der Maler nicht
eine beschränkte Auswahl traf, sondern alle Hauptfarben benützte.
Diesen neuen Kolorismus der deutschen Kunst hatte Dürer aus den
Bildern der Venezianer Bellini, Carpaccio, Cima und Catena geschöpft,
den Giorgione und Titian zur Vollendung brachten. Er wurde mit
dem 16. Jahrhundert Allgemeingut der deutschen Maler. Dürer er-
weiterte seine Stilschöpfung, indem er das Grundprinzip seiner Kunst
von der Körperwelt auf das Farbenspiel übertrug.
Verschiedenartige Kunstmittel, zeichnerische und malerische, hat
Dürer also seinem Ideal des Gruppenbaus dienstbar gemacht. Ihre inner-
liche Zusammengehörigkeit wird auch durch ihre gleichzeitige Ein-
führung in Dürers Bildgestaltung bestätigt. Als er nämlich in den
letzten Jahren des 15. Jahrhunderts mit der Proportion der Menschen
sich zu beschäftigen begann, hat er auch seine Räume perspektivisch
konstruieren lernen und ebenso die neuen Errungenschaften seiner
malerischen Kunst in Bildern und Stichen erprobt. Der Stich des
Sündenfalls (b. 1, 1504) bezeichnet deshalb nicht allein um der Pro-
portionierung von Adam und Eva willen in Dürers Entwickelung
einen Markstein; nicht minder klassisch ist er wegen der Vollendung
der malerischen Tonperspektive vom hellen Licht der Hauptpersonen
bis zum tiefen Schwarz der Waldfinsternis. Gleich den Menschenge-
stalten enthält also der Raum seine (malerische) Proportion, beide,
Körper und Raum, widerstreiten sich nicht, wie man meist behauptet
hat. Im Gegenteil, sie stehen miteinander im Einklang, so daß sich
„die ganze versamlung wol zusamen vergleichen“ läßt1). Durch
’j Damit hat Dürer ein Kunstwerk geschaffen, das auch Lionardo da
Vinci als eine vollgültige malerische Leistung anerkannt haben würde. Auf
Dürers Adam- und Evastich treffen nämlich Lionardos Worte in seinem Malerbuch
(a. a. O. S. 64, § 31 c) zu: „la pittura e mentale, e ch’ ella, siccome la musica e
Geometria considera le proportioni delle quantitä continue.. . questa

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