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Wagner, Heinrich
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Kreis Büdingen — Darmstadt: Bergstraesser, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.18791#0256
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ORTENBERG

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ganze Profilierung, das Masswerk der zweiteiligen Fenster, die Gliederung der Strebe-
pfeiler und Simse, ferner die auf der vorheigehenden Seite unten abgebildeten Steinmetz-
zeichen,*) welche an den Werkstücken des Chors hauptsächlich im Äussern in grosser
Zahl vorkommen, haben das Gepräge der genannten Zeit. Die Quader und Simse des
Langhauses entbehren dagegen im Äussern der Steinmetzzeichen ; auch zeigen dessen
Bau- und Schmuckformen, namentlich die des südlichen Seitenschiffes, die Merkmale
einer späteren Entstehungszeit als die des Chores. Denn das Fischblasen-Masswerk
der dreiteiligen Fenster des Schiffes, das zierliche Stab- und Blattwerk der gewölbten
Vorhalle (Fig. 119) gleichwie die Schildform des über der Bogen Öffnung angebrachten
Wappens derer von Eppenstein, der steil ansteigende Eselsrücken mit seinen Laub-
bossen , che Spitztürmchen der beiden Strebepfeiler und alle anderen Kennzeichen
lassen mit Bestimmtheit darauf schliessen, dass das Langhaus erst um 1430 bis
1450, teilweise vielleicht etwas später hergestellt wurde.

Der Neubau von 1385 scheint somit eine Zeitlang ins Stocken geraten zu
sein. Die Folgerung, dass die am Chor begonnene Ausführung der Kirche
am Langhaus langsame Fortschritte gemacht habe, wird bestätigt durch die
Wahrnehmung, dass nur wehige Formen von Steinmetzzeichen, 12 !3 H
nämlich an den Werkstücken der Pfeiler und Scheidebogen des ^
Hallenbaues nicht mehr als zwei (12 und 14), am Triumphbogen
bloss eines (13), und zwar fast an jedem Steine derselben, vor-
kommen. Der Mangel an Mitteln mag die Ursache der Verzögerung gewesen sein ,
und zugleich zur Beibehaltung jener zum Teil störenden Überreste der romanischen
Kapelle genötigt haben, obgleich sie die innere Anordnung und Überwölbung der
Hallenkirche sehr erschwerten. Auch die an der West- und Nordseite eingemauerten
Scharen von Eckquadern älterer Bauten , sowie die auffallende Schmucklosigkeit
dieser beiden Seiten bekunden die mehrfache Umgestaltung jener Teile des
Bauwerks.

Die Einförmigkeit von deren äusserer Erscheinung wird an der Westseite Äussere

. . Einzelheiten

durch eine an der Turmwand angebrachte Nische eimgermassen unterbrochen.
Die Öffnung, welche mit einfachem Kaffsims umrahmt ist und oben in eine wim-
pergartige Spitze mit krönendem Knauf endigt, diente einst zur Aufnahme eines
für Zwecke der Heiligen-Verehrung geschaffenen Bildwerks. An der Rückwand sind
Spuren von Malerei wahrnehmbar.

Weiter nördlich an derselben Aussenwand, nächst der Thüre, bemerkt man
eine kleinere rechteckige Nische, die nach den Angelresten zu schliessen einst mit
einem Thürchen versehen war. in den Steinrahmen der Öffnung ist in sprit-
gotischen Minuskeln die Inschrift: ilff • Kampftag • & ' yßt? j aßet * ftuIfpEU • 311° j
ü)° • • JCU° ftatg • tUl'Otea j taCUfj Q £> * 8 * I SN. eingemeisselt, woraus hervor-
geht, dass die auf Samstag Abend vor S. Petri Stuhlfeier (21. Febr.) 1512 gestorbene
Dorotea Weyss der gleichnamigen, angesehenen Familie angehörte. Ihr Wappen,
dessen Abzeichen ein Löwe ist, nimmt die mit Q bezeichnete Stelle in der Mitte
der unteren Seite des Rahmens ein.

*) Die eigenartigen Steinmetzzeichen 3 und 8 finden sich auch an der Stiftskirche zu Friedberg.
 
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