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Schäfer, Georg
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Provinz Starkenburg: Ehemaliger Kreis Wimpfen — Darmstadt, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.18713#0317
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EHEMALIGER KREIS WIMPFEN

viertheiligen Pässen im Maasswerk, begleiten die Hallenausdehnung auf der Innen-
seite, während die Aussenseite minder schmuckreich Gehandelt ist. In der Mitte
der Halle Offnet sich ein Ausgang nach dem Kreuzgarten. An den Seiten des
Maasswerkes dieser Oeffnung kauern die Rundfiguren einer nackten Gestalt mit
einem Apfel in der Linken und eines Drachen mit grimassenhaftem Menschenhaupt.

I >a und dort schauen vereinzelte menschliche
Köpfe vom Scheitel der Arkadengewände herab.
Plastisch am reichsten komponirt und durchge-
bildet sind die von einer Fülle herrlich gemeis-
lkonische /%^\V^^f? W$&C selten Laubwerks umkränzten Kapitale. In

diesem überaus mannigfaltigen Vegetativschmuck
spielen Wasserpflanzen, Ahorn-, Eichen-, Epheu-,
Klee- und Rebenblätter die Hauptrolle. Daneben
erscheinen blühende Rosen und Winden, Laub
und Früchte der lirdbeerstaude, des Feigenbau-
mes und des Weinstocks, vielfach belebt durch
munteres Gethier. (Fig. 170, a, b, c u. d.) Eine
Mauerschwalbe mit ausgebreiteten Flügeln und
gespreitztem Schweif atzt die über ihr im Neste
geborgenen gierigen Jungen und haftet so fest am
Kapital, dass sie in dieser Haltung, ungeachtet
des realistisch behandelten Gefieders, wie ein
heraldisches Bild wirkt; ein anderer Vogel steht
auf dem Rande des Nestes und schaut auf seine
Jungen herab, die mit aufgesperrten Schnäbeln
die ersehnte Nahrung in Empfang nehmen; ein
Frosch treibt unter Wasserpflanzen sein Wesen;

I , , i , | i : i , |__,_ und ein junger Hase ist in den Weinberg ge-

,M schlichen, um an saftigen Trauben sich gütlich
Fig. 169. Wimpfen im Thal. zu thun, auf deren Blätterbüscheln Raupen und

Ritterstiftskirche St. Peter. Arkatur Schmetterlingspuppen zur Symbolisirung der hei

des östlichen KrcHZFanpth'irels. , ,- , ~. , , ■—,

a * mischen rauna und r lora beitragen.

Der Freund der Geschichte bildender Kunst wird diese sinnigen und meissel-
fertigen Schöpfungen mit freudiger Ueberraschung betrachten und ihnen als reizenden
plastischen Stillleben einer frühen Zeit seine Bewunderung nicht versagen. Diese
ikonischen Kapitale zeigen, dass die Bildnerei im Beginn des 14. Jahrhunderts schon
im hohen Grade es verstand, das Leben in der freien Natur zu belauschen und die
darin waltenden Erscheinungen mit einer Meisterschaft zu künstlerischem Ausdruck
zu bringen, die den Plastikern des Ritterstifts, wie an ihren Statuen im Grossen so
an dieser Ornamentik im Kleinen, zu dauerndem Ruhm gereicht und ihnen einen
hervorragenden Rang in der Entwickelungsgeschichte der Skulptur des Mittel-
alters sichert. Was Wunder, wenn Nicolaus Lonau, der während seines Aufent-
haltes bei Justinus Kerner im nahen Weinsberg ohne Zweifel den Thal wimpfener
Kreuzgang gesehen, die an dieser romantischen Stätte empfangenen Findrückt-
 
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