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unerreichbar sind, und neben ihm — eine Schöpfung dichterisch-künstle-
rischer Freiheit — ein Tcmtalidenweib, das vergeblich mit der Schale
vom quellenden Wasser zu schöpfen sucht. Beide sassen mit der freien
Hand einen äffenden Spuk, der zwischen ihnen in der Luft schwebt. Wie
Tantalus eifrig am Felsen empor klettert und die Hand nach den Früchten
streckt, das giebt das unerfüllbare vergebliche Streben mit ausgezeichneter
Anschaulichkeit wieder. Auch hier bieten die beiden Gestalten in ihrer
verschiedenartigen Stellung einen wirksamen Gegensatz (s. Abb. S. 1).
Wir sehen so einerseits in den Tantalusqualen die Nichtigkeit des
Heidentums, das unbefriedigt nach Genuß gestrebt hat, anderseits im
Sündenfall, durch verbotenen Genuß herbeigeführt, die Grundlage von
Christi Erscheinen auf Erden dargestellt. Das dritte Relief aus der Rück-
seite des Thrones aber zeigt Christi Opfertod und die Ueberwindung des
Heidentums (s. Abb. S. 12). Christus hängt am Kreuze*) zwischen den beiden
*) Die Art, wie der gekreuzigte Christus dargestellt ist, wird manchem sonderbar
erscheinen. Indes sie entspringt der geschichtlichen Wahrheit. Es ist zunächst
gerechtfertigt, Christus am Kreuze nackt darzustellen. Die Kreuzigung war bei
den alten Römern die entehrende Todesstrafe (vite suppiioium); wenn das
sdi inne in ornaoin (geh' von hier ans Kreuz!) gesprochen war, kümmerten sich
die römischen Richter nicht im geringsten mehr um die Art der Kreuzigung. Sie
blieb den rohen Henkersknechten überlassen, und diesen fielen auch die Kleider der
Verurteilten zur Beute. Rücksicht auf Schamgefühl lag dabei ganz fern, vielmehr
sollte auf den Verurteilten alle Schmach gehäuft werden, man gab ihn selbst-
verständlich nackt dem sittenlosen Gespött des rohen Pöbels Preis. Bei der Kreuz-
strafe lag die Absicht vor, möglichst große Schmerzen mit möglichst arger Be-
schimpfung zu vereinigen. Kreuzigen heißt demnach nichts anderes, als zum
langsamen Tode aushäugeu, mag das Mittel sein, welches es will. Um einen
Lebenden verschmachten zu lassen, dazu genügte der erste beste Baum oder ein in
der Erde befestigter Balken; an diesen hängte man einfach das Querholz, woran
der Verurteilte mit ausgestreckten Armeu mit vier Stricken oder Weidenruten be-
festigt war. Vorrätige, gezimmerte Kreuze gab es, zumal in den Zeiten, wo so
viele zur Kreuzigung verurteilt wurdcu, kaum. Die künstlerische Darstellung des
Kreuzes nach der gemeiugiltigen Ueberlieferung ist, antiquarisch betrachtet, falsch.
Ebenso ist es in Wirklichkeit unmöglich, die Füße so übereinander zu nageln, wie
man es auf sehr vielen Kruzifixen sieht. Wenn bei der Kreuzigung die Füße
überhaupt genagelt wurden, so nagelte man jeden Fuß einzeln, wobei wiederum
das einfachste und bequemste Verfahren war, dies an den Seitenflächen des Balkens
zu thun. Oester knebelte man die Füße oder man ließ sie frei hängen (so daß
Artemidor den vor Qual zappelnden Gekreuzigten mit einem Manne vergleichen
unerreichbar sind, und neben ihm — eine Schöpfung dichterisch-künstle-
rischer Freiheit — ein Tcmtalidenweib, das vergeblich mit der Schale
vom quellenden Wasser zu schöpfen sucht. Beide sassen mit der freien
Hand einen äffenden Spuk, der zwischen ihnen in der Luft schwebt. Wie
Tantalus eifrig am Felsen empor klettert und die Hand nach den Früchten
streckt, das giebt das unerfüllbare vergebliche Streben mit ausgezeichneter
Anschaulichkeit wieder. Auch hier bieten die beiden Gestalten in ihrer
verschiedenartigen Stellung einen wirksamen Gegensatz (s. Abb. S. 1).
Wir sehen so einerseits in den Tantalusqualen die Nichtigkeit des
Heidentums, das unbefriedigt nach Genuß gestrebt hat, anderseits im
Sündenfall, durch verbotenen Genuß herbeigeführt, die Grundlage von
Christi Erscheinen auf Erden dargestellt. Das dritte Relief aus der Rück-
seite des Thrones aber zeigt Christi Opfertod und die Ueberwindung des
Heidentums (s. Abb. S. 12). Christus hängt am Kreuze*) zwischen den beiden
*) Die Art, wie der gekreuzigte Christus dargestellt ist, wird manchem sonderbar
erscheinen. Indes sie entspringt der geschichtlichen Wahrheit. Es ist zunächst
gerechtfertigt, Christus am Kreuze nackt darzustellen. Die Kreuzigung war bei
den alten Römern die entehrende Todesstrafe (vite suppiioium); wenn das
sdi inne in ornaoin (geh' von hier ans Kreuz!) gesprochen war, kümmerten sich
die römischen Richter nicht im geringsten mehr um die Art der Kreuzigung. Sie
blieb den rohen Henkersknechten überlassen, und diesen fielen auch die Kleider der
Verurteilten zur Beute. Rücksicht auf Schamgefühl lag dabei ganz fern, vielmehr
sollte auf den Verurteilten alle Schmach gehäuft werden, man gab ihn selbst-
verständlich nackt dem sittenlosen Gespött des rohen Pöbels Preis. Bei der Kreuz-
strafe lag die Absicht vor, möglichst große Schmerzen mit möglichst arger Be-
schimpfung zu vereinigen. Kreuzigen heißt demnach nichts anderes, als zum
langsamen Tode aushäugeu, mag das Mittel sein, welches es will. Um einen
Lebenden verschmachten zu lassen, dazu genügte der erste beste Baum oder ein in
der Erde befestigter Balken; an diesen hängte man einfach das Querholz, woran
der Verurteilte mit ausgestreckten Armeu mit vier Stricken oder Weidenruten be-
festigt war. Vorrätige, gezimmerte Kreuze gab es, zumal in den Zeiten, wo so
viele zur Kreuzigung verurteilt wurdcu, kaum. Die künstlerische Darstellung des
Kreuzes nach der gemeiugiltigen Ueberlieferung ist, antiquarisch betrachtet, falsch.
Ebenso ist es in Wirklichkeit unmöglich, die Füße so übereinander zu nageln, wie
man es auf sehr vielen Kruzifixen sieht. Wenn bei der Kreuzigung die Füße
überhaupt genagelt wurden, so nagelte man jeden Fuß einzeln, wobei wiederum
das einfachste und bequemste Verfahren war, dies an den Seitenflächen des Balkens
zu thun. Oester knebelte man die Füße oder man ließ sie frei hängen (so daß
Artemidor den vor Qual zappelnden Gekreuzigten mit einem Manne vergleichen