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Kessel, Alfred von
Schiller und die Kantische Ethik — Heidelberg, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.55107#0049
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endliche Geistergewalt dem Zwange der Natur und den
Schranken der Sinnlichkeit gegenüber. Daher läßt uns
das ästhetische Urteil frei und erhebt und begeistert
uns, weil wir uns schon durch das bloße Vermögen, ab-
solut zu wollen, schon durch die bloße Anlage zur Mo-
ralität gegen die Sinnlichkeit in augenscheinlichem
Vorteil befinden, weil schon durch die bloße Möglich-
keit, uns vom Zwange der Natur loszusagen,unserm ITei-
neitsbedürfnis geschmeichelt wird. Daher beschränkt
uns das moralische Urteil und demütigt uns, weil wir
uns bei jedem besonderen Willensakt gegen das absolu-
te Willensgesetz mehr oder weniger im Nachteil be-
finden und durch die Einschränkung des Willens auf
eine einzige Bestimmungsweise, welche die Pflicht
schlechterdings fordert, dem Freiheitstriebe der Phan-
tasie widersprochen wird."

Es ist vollkommen unkantisch, wenn hier die Wil-
lensbegabtheit schon als "Anlage zur Moralität",- wenn
der Naturtrieb als Gegensatz zur Freiheit und letzte-
re gar als mit dem Pflichtgebot unverträglich betrach-
tet wird; doch sind diese Fragen bereits besprochen
worden. Hier beschäftigt uns der Gegensatz von "mora-
lischer" und "ästhetischer" Betrachtung. Mit ihm ver-
sucht Schiller einen Ausweg aus seinem Werte-Zwiespalt
zu gebens seine Lösung wird im Schrifttum ganz allge-
mein als "ästhetische Ergänzung" der Nähtischen Ethik
bezeichnet; doch können wir sie nur als Scheinlösung
anerkennen. Schiller verläßt in Wirklichkeit das Ge-
biet der Ethik garnicht. Ästhetik ist die Lehre vom
Schönen und Erhabenen, - dessen, was auf die Sinne
wirkt; es kann wohl sein, daß ein sittlich Verwerfli-
ches schön oder erhaben wirkt. Damit wird aber nur die
Wirkung beurteilt, nicht aber die Handlung aus mensch-
licher Freiheit selbst; für sie gibt es nur die ethi-
sche Beurteilung. Freiheit ist ursprünglich bei Schil-
ler ein sittlicher Wert; dieser steht mit Schillers
sonstiger Ethik in Widerspruch,darum schiebt Schiller
die Freiheit ins Gebiet der Ästhetik hinaus, wodurch
es dann allerdings möglich wird, daß man ein und die-
selbe Handlung vom ästhetischen Standpunkte aus als
erwünscht, vom ethischen aus als unerwünscht empfin-
det. Dann vermag aber die Ethik nicht mehr ihre ei-
gentliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich auf die Frage
zu antworten: Was soll ich tun. Ihr Spruch wird durch-
kreuzt von dem einer andern Instanz,nämlich der Ästhe-
tik, und Schiller hütet sich wohlweislich,diese jener

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