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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Pecht, Friedrich: Die erste Münchener Jahresausstellung 1889, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0474
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von Friedrich pecht

27t

Algier ermöglichte bald darauf den Ruhmesdurst der Nation zu kitzeln und das „Maffacre de Chios" durch
die Ausräucherung der Kabylen zu ersetzen. Die Darstellung aller Grausamkeit, so z. B. von Ilnmenschlich-
keiten wie der Betlehemiiische Kindermord, wirkt aber nicht abschreckend, sondern sie vermehrt die Roheit und
gewöhnt an dergleichen, daher wird sie besser ganz vermieden. Idealisiert man aber den Orient, wie z. B.
Leinweber, der seine Odaliske einem maurischen Bey sentimentale Lieder Vorsingen und die übrigen Harems-
damen sehr gerührt oder einfältig zuhören läßt, so wird man unwahr diesen Gurgelabschneidern gegenüber,
v. Meckel gibt dann eine ganze Reihe Orientbilder, die nur zu reizlos in der Farbe sind, obwohl sie immer-
hin Auffassung zeigen. Aber die Kameele allein thun es noch nicht nnd die Aloen oder Palmen. So bringt
Eisenhut eine Kriegerversammlung, die Mädchen als Kriegsbeute verteilt (Abb. s. S. 343), ohne diese Erzählung
indeß recht glaubwürdig machen zu können. Eng. Blaas aber führt uns nur an die Pforte des Orients, nach
Venedig zurück, um uns seine koketten, aber wenigstens hübschen Mädchen zu zeigen. Auch Rüben bringt einige
artige Bilder, so eine Blnmenverkäuferin auf der Piazza. Der weitaus bedeutendste dieser österreichischen Kolonie
in Venedig, Passini, hat leider nicht ausgestellt. Dafür läßt uns Bennewitz v. Loefen gar auf den
Markustnrm steigen, wo zwei Rotröcke sich und uns langweilen, und Puteani (Abb. s. S. 335) malt
komischerweise in Venedig Fansts Osterspaziergang

In vergangene Zeiten führen uns dann noch Otto Seitz, der vor einem Wirtshause eine sehr gemischte
aber wenigstens schöne malerische Qualitäten zeigende Gesellschaft versammelt (Abb. s. Jahrg. III, S. 187). Noch glaub-
würdiger und fein charakterisiert gibt der Wiener Probst den Fechtunterricht in einer adeligen Familie, während
Friedrich ein Duell im siebzehnten Jahrhundert recht lebendig darstellt. Sein Tod Dantes dagegen läßt die
Hauptfigur viel zu sehr als Nebensache erscheinen, um nicht einer trefflichen Zimmerstudie mit Dante als
Staffage zu gleichen. Tragen nun alle diese Ausflüge in fremde Länder oder entlegene Zeiten unleugbar
wenigstens zur Belebung und Mannigfaltigkeit einer Ausstellung entschieden bei, so kann man sich doch keinen
Augenblick darüber täuschen, daß die eigentliche Lebenskraft unsrer Kunst nicht hier, sondern durchweg in den
Schilderungen der Gegenwart oder des eigenen nationalen Lebens zu suchen sei. — Selbst bei einem so vor-
trefflichen Bild wie das Marrs unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß es noch überzeugender wäre, wenn
der Maler deutsche statt italienische Büßer geschildert hätte. Tenn es ist ganz und gar keine willkürliche Be-
hauptung, sondern ein feststehendes Naturgesetz, daß jede Nation nur ihre eigenen Angehörigen wahrhaft glaub-
würdig zu schildern im stände ist. So gut ein Deutscher nur wieder Deutsche körperlich erzeugen kann, ein
Engländer nur wieder Engländer, genau so verhält cs sich auch mit der geistigen Erzeugung. Die Natur
ist stärker als der Wille; man sehe doch die Iphigenie Goethes oder seinen Tasso, sind sie beide nicht
urdeutsch? Geht es der Emilia Galotti besser oder dem Saladin und Nathan des Lessing? Haben Don Carlos,
die Jungfrau, Maria Stuart etwa spanisches, französisches, englisches oder deutsches Gepräge? Sind die
Apostel Dürers, die homerischen Helden des Cornelius nicht durch und durch deutsch, wie die des Rubens
flämisch? Damals, vor dreihundert Jahren, wo jeder nur seine Nation kannte, fiel dergleichen nicht auf, heute
wo jedermann reist, jedermann Geschichte studiert, sind dergleichen Maskeraden unmöglich.

(Die Fortsetzung V4l. Landschaftliches im nächsten Dests
 
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