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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Perfall, Anton von: Bekehrung: Novelette
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0040
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Novelette von A. v. perfall

25

dieses neckische Zerfließen und Wiederauftauchen der
Linien —

„Darf ich Weiterarbeiten?" fragte Eva.

„Arbeiten, singen, sprechen, was Sie Lust haben.
Sind Sie wirklich noch nie gesessen?"

„Doch — aber nur einem."

Sandoz empfand eine schmerzliche Enttäuschung.
Einem, das genügt, um den Blütenstaub zu verwischen,
der für ihn über diesem Mädchen lag. Einer war so
viel wie ein Dutzend -—- aber wie konnte er auch nur
so etwas denken — eine Näherin!

„Und wie heißt der Glückliche?" fragte er nach
einer Pause.

„Es war mein Vater."

„Ihr Vater — Maler?" Er sprach es auffallend erregt.

„Gewesen! Er starb, als ich ein Kind von 14 Jahren
war. Heinrich Erkmann, wenn Sie vielleicht davon ge-
hört haben."

„Erkmann! „Die Spinnerin" von Erkmann in der
Nationalgalerie, der Erkmann? — dessen Tochter? Ja,
das war ja ein großer Meister — wie — ja wie —?"

„Kommt seine Tochter in dieses Dachstübchen als
Näherin, wollen Sie sagen? — Das ist doch eine alte
Geschichte, er wurde erst nach seinem Tode berühmt —
er starb arm und hinterließ eine kranke Frau mit vier
Kindern. — Ich verstehe das nicht so, aber die Mutter
sagte oft, er nehme die Kunst zu ernst, 4>as wolle
man nicht —"

„Und Sie müssen Ihr Brot mit Hemdennähen ver-
dienen, die Tochter eines Erkmanns, weil er die Kunst
zu ernst nahm."

Sandoz lachte bitter auf.

„Oh, ich bin ihm deshalb nicht gram, dem guten
Vater. Er hatte doch das Richtige, mir sagt's mein
Herz. Die Kunst soll auch ernst genommen werden,
nicht wahr, Herr Sandoz. — Entschuldigen Sie — ich
verstehe ja nichts davon."

„Sie verstehen, scheint es, sehr viel davon — nicht
so schleuderisch, nur für den Erwerb, den augenblicklichen
Erfolg. — Die Kunst soll auch Arbeit sein, ein Be-
mühen, sie soll nicht nur Farbe und Form in sich be-
greifen, sondern noch etwas anderes, die Hauptsache, das
innere Wesen dessen, was sie darstellen will; z. B. hier

— was soll sie hier nicht alles in sich begreifen, Fräu-
lein Eva?"

Sandoz war vor die Staffelei getreten, dicht vor
das Mädchen. „All' den Heldenmut, all' die kindliche
Heiterkeit eines reinen Herzens, mit der Sie die Härte
des Lebens tragen, ein Geschöpf so gut, geboren
zum Genuß, zur Freude, wie tausend andere. Das
alles soll aus diesem Bilde zum Beschauer sprechen, ihn
erschüttern, bewegen, wenn es ein Kunstwerk werden
soll, wie ihr Vater geschaffen — der in Armut gestorben,
während ich im Überfluß lebe von meinen Tändeleien

— ich, der ich nicht imstande bin, nur annähernd alles
das zum Ausdruck zu bringen, der ich an der Form, an
der Farbe klebe, die nichts ist, gar nichts ohne das
Seelische. — Ich kann es nicht, Fräulein Eva, ich trete
freiwillig zurück — und male wieder das verhaßte
Modell, das Sie eben gesehen — Zizi, mein Ideal!"

Eva sah verstört auf den jungen Mann, sein blasses
etwas verlebtes Antlitz glühte, ein herber Schmerz lag
darin.

„Aber das bilden Sie sich ja alles nur ein", er-
widerte sie in heiterem Tone. „Wo nähme ich einen
Heldenmut her! keinen Genuß, keine Freude am Leben!

— weil ich arbeiten muß, mich redlich durch das Leben
schlage, als die Tochter eines braven Mannes, der mir
eine gute Erziehung zuteil werden ließ — alles falsch!
Recht furchtsam bin ich! Gott, was ich für eine Angst
ausstand heute früh mit Ihnen, nur merken ließ ich es
mir nicht — und das Leben freut mich auch, da kennen
Sie mich schlecht. Und genießen? —Wenn ich Sonntags
auf das Land gehe mit meiner Freundin — warum
soll ich denn da nicht ebenso genießen, wie die Reichen?
Die herrliche Natur, die gute Luft, die süße Milch, das
gute Schwarzbrot bei den Bauern! — Oh, eine kleine
Erbschaft hat mir der Vater doch hinterlassen, ein offenes
Auge, ein warmes Herz für alles Schöne auf Erden.
Und jetzt an die Arbeit, Herr Sandoz, schämen Sie sich

— nicht können! Alles kann man, was man will.
Jetzt gebe ich keine Ruhe, bis Sie dies Bild fertig
haben — und diese Zizi darf mir nicht mehr herauf,
daß Sie es nur wissen. Reinen Herzens muß der
Künstler schaffen, sagte der selige Vater."

„Und sie soll auch nicht mehr kommen, ich schwöre
es Ihnen, so wahr ich Sandoz heiße, Fräulein Eva. —
Jetzt aber still und ruhig. Sie haben alle guten Geister
in mir beschworen, ich glaube, meine Stunde ist ge-
kommen."

Er trat an die Staffelei. Der Stift flog eilig
über die Leinwand und jeder Strich saß, eine jähe
Energie kam über ihn, jede Zaghaftigkeit schwand und
je mehr sein Auge eindrang in die mädchenhafte Er-
scheinung vor ihm, desto höher schlug sein Herz, mit
jeder Linie ward sie mehr sein eigen.

Eva versuchte dabei zu arbeiten, wie ihr Sandoz er-
laubt, aber unzähligemale riß der Faden, verwirrte sich der
Stoff, sie zitterte in jungfräulicher Scham vor dem
Blick des Künstlers, der jede Hülle durchdrang und ge-
noß doch eine nie geahnte Wonne — über die gute
That, die sie vollbracht, redete sie sich ein, auf die der
gute selige Vater gewiß mit Genugthuung herabblickte. —

Nachdem die Aufregung des Entwurfes vorüber,
wuchs das Sicherheitsgefühl Sandoz' von Tag zu Tag,
seine Nerven stählten sich an der Arbeit, während die
Zwiegespräche mit Eva ihn in eine neue, von seiner
früheren ganz verschiedene Welt versetzten.

Sie erzählte von ihrer Jugend auf dem Lande,
wo der Vater frühzeitig ihr Kinderauge für die Natur
öffnete, von seinem unermüdlichem Streben, seine schlichten
Einfachheit; aber auch von den schlimmen Tagen, wie
die Idylle Plötzlich endete mit dem Tod des Teuern,
der bittere Lebenskampf begann. Die Mutter krank,
die Sorge für die ganze Familie auf ihr junges Haupt.
Aber auch durch diese dunkle Zeit huschte zur rechten
Zeit ein Lichtstrahl, nie klang Verbitterung aus ihren
Worten. — Die Mutter war jetzt auch tot, die Ge-
schwister zerstreut — sie allein, aber unverzagt. Was
hatte Sandoz dagegen zu erzählen, und für was hatte
er gekämpft, gerungen? Wie eine reife Frucht war ihm
die Kunst in den Schoß gefallen, aber die Frucht war
wurmstichig. — Er war ein Talent, das fühlte er eben
jetzt am meisten, aber er war verwildert, zügellos, die
Selbstzucht fehlte ihm.

Die Kunst für All- VIII
 
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