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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Koehler, Robert: Die Entwicklung der Schönen Künste in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0329
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von Robert Roehler.

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In der Kirche, von I Gari Melchers.

Urteilsvermögens gelangt ist. Daß auch in Privatkreisen eine gründliche Würdigung des bereits Erreichten
noch nicht in ausgedehntem Maße platzgegriffen, ist eine oft gehörte und nicht unberechtigte Klage seitens der
amerikanischen Künstlerschaft. Erst in aller neuester Zeit sind Anfänge zu Privatsammlungen einheimischer
Kunstwerke gemacht, und zwar zunächst mehr mit geschäftlich spekulativen Absichten, während außer der Cor-
coran Art Gallery in der Bundeshauptstadt kaum eines der zahlreichen Museen einen nennenswerten Anfang
zur Anlage einer „nationalen Galerie" gemacht hat. Ferner fehlt einstweilen noch jede Anregung für monu-
mentale Malerei. Mithin ist es klar, daß für die Pflege und Entwickelung der Kunst noch viel zu thun
übrig bleibt, allein es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Volk, in welchem die edelsten Herzenstriebe so glänzend
zur Entfaltung kommen, daß man ihm den Wohlthätigkeitssinn als nationale Tugend beizulegen genötigt ist,
das seine Gelehrten und Dichter so hoch in Ehren hält, das für allgemeine Bildnngs- und Erziehungszwecke
bereitwilligst die größten Opfer bringt, dessen beste Kraft nicht in politischen Abenteuern vergeudet zn werden
braucht, sondern der ruhigen Entwickelung interner Verhältnisse gewidmet werden kann —^ berufen ist, auf dem
Gebiete der Kunst dereinst das Höchste zu erreichen. Ich sehe in der von ausländischen und einheimischen
Kunstkritikern so gerne beklagten „Zersplitterung", welche gegenwärtig noch herrscht und naturnotwendig herrschen
muß, kein Hindernis, vielmehr eine den vorstehend geschilderten Verhältnissen entsprungene Grundbedingung
für die endliche Entwickelung einer „nationalen" Kunst, die freilich einen anderen als den, vielen der be-
wußten Schreiber überhaupt noch etwas unklaren, Charakter annehmen und von ihnen auch schwerlich mehr
miterlebt werden dürfte. Wenn wir zurückblicken auf die Entwickelungsgeschichte anderer Kulturvölker, so
finden wir, daß oft Jahrhunderte vergingen, bevor dem Einflüsse der Kunst des Auslandes eine glänzende
Entwickelung der heimischen Kunst folgte. So ging beispielsweise in England das Wirken Van Dycks und
Holbeins dem frischen, kräftigen Aufblühen nationaler Kunst unter Gainsborough, Reynolds, Turner und Con-
stable vorauf. Bevor in Frankreich in Claude Lorrain und Poussin heimische Meister von höchster Bedeutung
erstanden, hatten Leonardo da Vinci und Cellini in dem Lande ihre Thätigkeit entfaltet; und wenn auch heute
die Verhältnisse wesentlich anders liegen, so ist dennoch der Einfluß der Zeit, die Vererbung von Generation
auf Generation dadurch nicht zu beschleunigen. Unser Sehnen, ja unser Wissen vermag der Zeit vorauszu-
eilen — unser Können nicht. _

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