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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Plehn, Anna L.: Der Impressionismus und sein Ausgang, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0135
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-*^> DER IMPRESSIONISMUS UND SEIN AUSGANG <&S~v

ergänzt. Man sieht z. B. im Sonnenlicht- der Verstand ihn aus dem Gesichtseindruck
durchstrahlten Baumschatten aus einiger Ent- erschliesst. Auf einem späteren Standpunkt
fernung helle und dunkle hurtig durcheinander- wird bemerkt, dass der Schatten stets zum
spielende Farben. Hier wird ein Teil eines Verheimlicher der Form wird, dann erst
Gesichts deutlich, dort die Falte eines Aer- kommt die Erkenntnis, dass das hellste Licht
mels scharf in ihre Biegungen hinein ver- denselben Einfluss hat, und schliesslich wird
folgbar, während weiter hinunter ein form- die mit zunehmender Entfernung sich häufende
loser, heller Fleck erscheint, der sich weich Luft als das Element erkannt, welches mehr
mit unbestimmten Grenzen zwischen dunklere noch als die beiden anderen Faktoren der
Flecken einschiebt. Trotz dieser unklaren Gestalt die feste Plastik der Erscheinung
Gesichtseindrücke ist dem Bewusstsein sofort nimmt.
unzweifelhaft, dass dies eine schreitende Ge- Jeder Anfänger im Zeichenhandwerk hat
stalt sei, und niemand zögert einen Augenblick, erfahrungsmässig am meisten Mühe, der
festzustellen, dass jener Fleck an dem Platze durch Schatten, Reflexlicht oder Luftperspek-
erscheint, wo sich dort eine Hand befindet, tive schwer erkennbar gemachten Form ge-
und dass diese Hand fünf Finger hat. Diese recht zu werden. Er sagt darüber in der
Ideenverbindung ist so zwingend, dass der Regel zu viel aus, indem er sich diese Stellen
des genauen Beobachtens Unkundige sicher seines Modells aus grösserer Nähe oder mit
sagen wird: Ich sehe die Finger ganz so mehr Aufmerksamkeit ansieht, als die, über
genau wie die beleuchtete Aermelfalte, und welche kein Zweifel sein kann. Oder er hat
doch würde er in Verlegenheit kommen, wenn es den Impressionisten abgeguckt, dass man
man ihm ansinnen wollte, diese Hand zu das Nichtgesehene auch nicht machen soll,
zeichnen, während es ihm bei einer scharfen und breitet über die ihm unverständlichen
Beleuchtung doch bis zu einem gewissen Partien den dichten Schleier einer oberfläch-
Grade gelingen würde. Im letzteren Fall liehen Behandlung. Er übersieht nämlich,
hätte er nämlich nachzubilden, was er wirklich dass der Impressionist nicht seiner eigenen
gesehen hat, während er vorhin nur eine Vor- Bequemlichkeit zuliebe sich kürzer fasst als
Stellung seiner Einbildungskraft porträtieren der Zeichner vor ihm, sondern dass er
sollte. erst aus der vollkommenen Einsicht in die
Die naivste Art der Malerei Iässt sich über- gesamte Form die Berechtigung ableitet,
haupt nichts von der Form unterschlagen, zwischen dem zu wählen, was zu zeigen und
Sie stellt den Körper als solchen dar, wie was zu verschweigen ist. Nur dann wird
der scheinbar formlose Fleck im
Wirklichkeitsbilde seinen Sinn ver-
raten und der Zeichner wird davon
gerade so viel ausdrücken, als ge-
nügt, jene Ideenthätigkeit auszu-
lösen, welche die unvollkommen
gesehene Natur zu einer deut-
lichen Phantasievorstellung macht,
die beweglichen Flecken zu einem
schreitenden Menschen, und wel-
che auch den leisesten Wink des
Künstlers richtig deuten wird, so-
bald er nur von jenem vollkomme-
nen Verständnis dessen ausging,
was in der Natur wirklich vorhan-
den war, und wie es als Gesichts-
eindruck erscheint. Darum musste
der Impressionist die Hand unzäh-
lige Male in jeder Beleuchtung deut-
licher zeichnen, als er sie sieht,
er musste alles Wissen der Ana-
tomie zu Hilfe rufen, nur um end-
lich die Freiheit zu erringen, mit
den wenigsten Mitteln möglichst
genau den Eindruck zu geben wie
frank w. ben.son die Schwestern die Natur. In jeder Zeichnung,


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