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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 21.1905-1906

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Gensel, Otto Walther: Fünfundsiebzig Jahre Belgischer Malerei, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12156#0193
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FUNFUNDSIEBZIG JAHRE BELGISCHER MALEREI

Von Walther Gensel
IL

Unter den Bildnismalern der nächsten Ge-
neration trat Lievin de Winne mit drei-
zehn Werken besonders hervor. Seine Stärke
liegt in repräsentativ wirkenden Kniestücken
vor neutralem Hintergrunde, bei denen er
auch die Kleidung und die Hände mit großer
Sorgfalt, aber nie kleinlich behandelt. Zu-
weilen erreicht er damit einen sehr hohen
Grad von Vornehmheit, so in dem Bildnis
des weißhaarigen, bartlosen Herrn Firmin-
Rogier, bei dem das rote Ordensband über
dem schwarzen Fracke prachtvoll zu dem
braunroten Hintergrunde steht, oder in dem
Bildnis der Frau van der Stichelen, die in
weißem Gesellschaftskleide sitzend dargestellt
ist (Abb. S. 170 und 173). Von der an Winter-
halter gemahnenden Glätte de Keyzers, dessen
großes Gruppenbildnis dreier Prinzessinnen
Aufmerksamkeit erregte, ist er jedenfalls
ebenso weit entfernt wie sein etwas jüngerer
Zeitgenosse Alfred Cluysenaar, dessen le-
bensvolles Bildnis des Bildhauers de Groot
(Abb. S. 176) leider schlecht erhalten ist. Sein
Schüler Emile Sacre überraschte durch ein
großes, leider sehr hoch hängendes und darum
viel zu wenig beachtetes Bild dreier hinter
einem Tisch sitzender Richter von eminenter

Charakterisierung und vornehm kühlem, aus
grünen, grauen und schwarzen Tönen be-
stehendem Kolorit. Wie fast überall, so
konnte man auch hier die Erfahrung machen,
daß die bedeutenden Historienmaler fast durch-
weg auch gute Bildnisse geschaffen haben.
Der Saal der Künstlerbildnisse in der Aus-
stellung enthielt eine lange Reihe vortreff-
licher Selbstporträts, aus der nur das Wiertz-
sche durch seine porzellanene Malweise und
seine manierierte Auffassung unangenehm
herausfiel.

Eine gelinde Enttäuschung bereitete dagegen
die Landschaftsmalerei. Von der älteren
Schule hatte man ja nicht sonderlich viel er-
wartet, um so mehr aber von der „Schule von
Tervueren", die oft als fast gleich berechtigte
Schwester der Schule von Barbizon gerühmt
wird. Die schon durch die Bilder im Musee
moderne erregten Zweifel an der Richtigkeit
dieser Schätzung wurden durch die jetzige
Ausstellung nicht nur nicht behoben, sondern
eher verstärkt. Auch Hippolyte Boulenger,
der beste Maler der Schule, ist weder ein
Corot noch ein Daubigny. In manchem er-
innert er an Schleich oder Lier, wenn er
auch beträchtlich über diesen derselben

Die Kunst für Alle XXI. 8. 15. Januar 1906.

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