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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 23.1907-1908

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Corinth, Lovis: Erinnerungen an den Münchener Allotria-Kreis, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12504#0084

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-s*E^> ERINNERUNGEN AN DEN MÜNCHENER ALLOTRIA-KREIS <^S-s-

Aber manches Mal kam es vor, daß die
Tänzerinnen aufhörten, zum Klavier stürzten
und schimpften: „Ja, was war denn dös, der
Fischer-Franzi kann ja nit a Mal ein Frangßä
spüelen." Und sie ließen nicht eher nach,
als bis er die ganze Tour von neuem anfing
und sie zu ihrer Zufriedenheit runterhämmerte.

Schwabenmaier war nicht fürs Tanzen, seine
Liebhabereien waren auf anderem Gebiete.
Er wurde viel von den Kellnerinnen um-
schwärmt, und manche wollte wohl auch die
Rolle von Potiphars Weib bei ihm über-
nehmen. Zur Erklärung dieser Bevorzugung
pflegte er des öfteren zu erzählen, daß er
jeder eingestände, unter dem Siegel tiefster
Verschwiegenheit, daß die Glut seiner Liebe
schon am Verlöschen wäre und da lachte er
mit seinen Grübchen in den runden Backen:
„Jede will nun den Ehrgeiz habe, den Funke
wieder zur Flamme zu errege."

Mit Vorliebe wurden Geburtstage hervor-
ragender Mitglieder gefeiert. Oberländers fünf-
zigster gab Anlaß dazu und Nachbaurs sieb-
zigster. Das Nachbaur- oder Nazi-Fest ent-
behrte nicht eines Humors, der den Gefeierten
eigentlich stark verulkte. „Diese Mannderl
auf der Bühne", fing Lenbach seine Festrede
an. Seine Liebhaberei für Diamanten an den
Fingern und sonst überall diente ebenso zu

starken Veralberungen wie seine ewige Sucht,
den Postillon von Lonjumeau singen zu wollen.
Es wurde ein Nazi-onal-Denkmal enthüllt;
auf dem Sockel stand der langbärtige Har-
burger als Doppelgänger des Sängers im Postil-
lonkostüm und sang die Arie. Daran schloß
sich eine Revue, in der seine andern be-
rühmten Gestalten vorbeizogen: Masaniello,
der Troubadour,WalterStolzing, George Brown,
Tannhäuser usw. und alle sangen:

;Oho! oho! so schön, so froh, oh!
Du Postillon von Longjumeau« etc.

Der gute Nachbaur, dem kein Argwohn
seine kindliche Seele belastete, saß da, große
Tränen der Rührung rollten über sein noch
immer schönes Tenorgesicht.

Eine andere Kategorie Feste wurden ar-
rangiert, sobald befreundete — hauptsächlich
mit Lenbach befreundete — Fremde den Be-
such der Allotria versprachen.

So erschien Herbert von Bismarck. Lenbach
zog mit ihm von Tisch zu Tisch und hinter
ihm folgte ein passives Mitglied, das zur
Sicherheit einen Stuhl mit sich schleppte,
mit dem Gedanken: „Wo Ihr sitzet, da sitze
ich auch." Nachbaur sang natürlich den Po-
stillon, Gura die Balladen von Loewe und
zu jedem sagte seine Exzellenz dankend: „Sie
haben mir einen jroßen Genuß bereitet."

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