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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 24.1908-1909

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Clemen, Paul: Von neuer deutschen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12503#0388
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VON NEUER DEUTSCHER KUNST

Von Paul Clemen

Die deutsche Kunstausstellung für Amerika, an deren Vorbereitung in Deutschland vor allem
Geheimrat Lewald aus dem Reichsamt des Innern, Geheimrat Schmidt, der Kunstreferent im preußi-
schen Kultusministerium, Geheimrat Bode, der Generaldirektor der Königlichen Museen, und die
Professoren Artur Kampf und Carl von Marr beteiligt waren, die aber erst durch das Eintreten des be-
kannten Newyorker Mäzens und Sammlers Reisinger ermöglicht worden ist, ist kürzlich in den präch-
tigen Räumen des Metropolitan Art Museums in Newyork untergebracht gewesen, dank dem Entgegen-
kommen der Trustees, voran J. Pierpont Morgans. Für diese Ausstellung ist auf Veranlassung des
Reichsamtes des Innern von der Reichsdruckerei ein besonders prächtig ausgestatteter Katalog, zu-
gleich als ein Meisterwerk der Typographie hergestellt worden. Dem nur in der großen englischen Aus-
gabe gedruckten Katalog ist eine längere Einführung von Professor Paul Clemen vorausgeschickt, der
ein besonderer Kenner der amerikanischen Kunsiverhältnisse ist und dem amerikanischen Kunst-
publikum im vorigen Jahr als deutscher Austauschprofessor nahegetreten ist. Die ersten allge-
meinen Abschnitte dieser Einführung, die in großen Zügen eine Charakteristik der herrschenden
Kräfte und Richtungen in der lebendigen deutschen Kunst gibt, bringen wir mit Genehmigung
des Autors hier in einer deutschen Uebersetzung. Die Einleitung ist für das amerikanische
Publikum geschrieben mit der ausgesprochenen Absicht, dieses für die deutsche Kunst zu gewinnen,
der Amerika und der amerikanische Kunstmarkt jetzt fast ganz verloren sind. Bei den Einzel-
charakteristiken ist auch fortgesetzt auf amerikanische Verhältnisse Rücksicht genommen und es
ist der Vergleich mit amerikanischen Künstlern gesucht. Diesen Hintergrund muß man sich bei
dieser Einführung immer vor Augen halten. Die Redaktion

Man darf ruhig und ohne Uebertreibung sa-
gen, daß die lebendige Kunst des Deutsch-
land von heute den Amerikanern von heute
so gut wie unbekannt ist. Bis vor einem
Menschenalter zogen noch die jungen ameri-
kanischen Künstler nach Deutschland, um
dort ihre Ausbildung zu finden, die ältere Ge-
neration nach Düsseldorf, die jüngere nach
München. Aber diese Generation ist schon
wieder fast ausgestorben, und vielleicht ist
unter den amerikanischen Malern von heute,
die als führend bezeichnet werden können,
William M. Chase der einzige, der noch in
München seine erste Ausbildung gefunden
hat. Und bis vor einem Vierteljahrhundert
reiste alljährlich eine Menge von deutschen
Bildern nach Amerika. Es war reichlich Ge-
legenheit, im Lande selbst deutsche Kunst
zu sehen. Aber es scheint uns heute, als
ob die Periode der Knaus und Vautier die
letzte sei, die noch regelmäßig in den ameri-
kanischen Museen und Sammlungen vertreten
ist, von den nachfolgenden Malern findet man
nur vereinzelte stärker vertreten, wie etwa
Gabriel Max, und für die letzten 20 Jahre
reißt der Faden ganz ab.

Was die offiziellen Ausstellungen in Chi-
cago und St. Louis zeigen konnten, war na-
turgemäß mehr die offizielle Kunst, und in
solch einem riesenhaften Weltmarkt und Eitel-
keitsmarkt sprachen zu viele und zu laute
Stimmen in dem internationalen Orchester
gleichzeitig, als daß die stille und lautere
Stimme der Kunst zu Worte kommen konnte.
Nur in ein paar glänzenden modernen Privat-
häusern und in ein paar ausgezeichneten
neueren Privatsammlungen in Newyork, vor
allem in der beneidenswerten Kollektion von

Hugo Reisinger in Newyork hat die deutsche
Kunst von heute ihr Recht gefunden.

Amerika und die amerikanische Kunst ist
seit 25 Jahren bei den Franzosen in die Schule
gegangen und es ist durch diese Schule hin-
durchgegangen. Frankreich hatte vor 30 Jahren
mehr als andere Völker die Mission, die
Lehrerin dessen zu werden, was man gute
Malerei nennt. Amerika hat sich das Beste
aus dieser Schule und aus dieser Tradition
geholt, aber es ist ihr jetzt entwachsen. Die
amerikanische Kunst würde nur eben eine
Filiale von Paris bilden, wenn sie nicht diese
Schulfesseln abstreifen wollte. Sie hat viel
zu viel Neues und viel zu viel Eigenes zu
sagen, und sie muß dies Eigene zuletzt auch
in eigener Sprache sagen. Die amerikanische
Kunst hat in den letzten zehn Jahren einen
so rapiden Aufschwung genommen, und ist
mit so gewaltigen Schritten vorwärts gestürmt,
daß sie jetzt wahrhaftig auf eigenen Füßen
stehen darf. »Wer immer hinter den andern
her geht, wird nie an ihnen vorübergehen",
hat Michelangelo gesagt. Eine internatio-
nale Macht wird die amerikanische Kunst
erst werden in dem Moment, wo sie aufhört —
international zu sein.

Darum ist es für Amerika in dieser Zeit
der nationalen Reinigung seiner Kunst von
großem und vielleicht entscheidendem Wert,
im eigenen Lande, nicht auf fremden Aus-
stellungen jenseits des Ozeans, Umschau hal-
ten zu können über das, was die führenden
Nationen auf dem Gebiete der Kunst heute
leisten und darstellen. Und wenn in Frank-
reich die ältere und feinere Kultur und die
ältere technische Traditon uns entgegentritt,
so dürften heute in Deutschland die stärksten

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