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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 36.1920-1921

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Clemen, Paul: Die letzten Werke Adolf von Hildebrands
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https://doi.org/10.11588/diglit.14150#0286

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wegs nur einen Hintergrund darstellen, sondern
war als ein wesentlicher Teil der Denkmal-
anlage von ihm mit der gleichen künstlerischen
Berechnung, in der Behandlung der mächtigen
2yklopischen Quadern, in den an Tropfsteine
gemahnenden Ausladungen der mittlem Aus-
buchtung im Modell durchgearbeitet wie bei
dem meisterhaften Unterbau des Wittelsbacher
Brunnens in München, in dem jedes Profil
gleichsam von dem Element des Wassers weich
geformt ist. Ein Aufbau in rohen, aber wieder
mit bewußter Gruppierung gelegten Stein-
blöcken ist in drei Massen dem Aufbau vor-
getürmt. Im Plastischen absichtlich kein neues,
kein gesuchtes Thema, sondern das alte Lied
aus des Knaben Wunderhorn: der Rhein und
die Rheintöchter. In der Mitte erhebt sich in
kolossaler Breite, die sitzende Figur 4 Meter
messend, die Riesengestalt des Vaters Rhein,
bequem hingelagert, und ganz im Sinne der
Hildebrandschen Fernbildwirkung durch eine
geschickte Drehung die volle Silhouette des
mächtigen Körpers dem Beschauer zuwendend,
den rechten Fuß aufgestützt, und dadurch das
rechte Knie gehoben. Der linke Arm ruht auf
einer einfachen runden Urne aus, aus deren
Öffnung dann das Wasser sprudeln soll; der
rechte Arm, der ein kurzes Ruder hält, ist
hinter dem gehobenen rechten Knie leicht ge-
hoben. So fließt die Umrißlinie ungezwungen
ineinander, bei allem Reichtum der Bewegung
ist überall auf die Ausführung in Stein, die
Notwendigkeit, Höhlen und unnötige Durch-
brechungen zu vermeiden, geachtet. Dem so oft
abgewandelten Motiv des Rheingottes ist eine
neue bedeutsame Seite abgewonnen ; es ist gleich-
sam die klassische, die endgültige und doch auch
wieder die ganz individuelle Hildebrandsche
Formgebung und Auffassung. Ein prachtvoll
langbärtiger, mit Weinlaub geschmückter Kopf
krönt den breiten Torso, der durch tiefe Falten
wie scharfe Zäsuren aufgeteilt ist. Es liegt etwas
von vorweltlicher Größe in dem seltsamen Kopf,
der streng und weich zugleich ist, in dem sich
Erinnerungen an den bärtigen Bacchus und den
Silen der Alten begegnen. Wenn man bei der
Schöpfung des Wittelsbacher Brunnens an einen
Brunnen in der Villa Albani sich gemahnt sah,
bei dem Straßburger Brunnen an die Statue des
stehenden antiken Poseidons mit dem Dreizack
im Lateran denken durfte, so kommen hier ganz
vage die Erinnerungen an jene Kolossalgruppe
des Nils im Braccio Nuovo des Vatikans und
an jene beiden Flußgötter, die nach dem Plan
Michelangelos vor dem Senatorenpalast in Rom
Aufstellung gefunden haben. Aber es ist die
große Kunst Hildebrands, daß er in dem Suchen
nach der scheinbar selbstverständlichen und

gegebenen Form dann wieder den ganz be-
sondern, nur ihm eignen Ausdruck findet.

Vor den beiden seitlichen Risaliten bauen
sich, weit überlebensgroß auf den mächtigen
Blöcken, je zwei Wassernixen auf. Es sind keine
der spielerischen Gestalten des späten Barocks,
sondern echt Hildebrandsche Schöpfungen, vier
Körper in schöner Nacktheit, von wundervoller
rhythmischer Bewegung, die zu dem Glück-
lichsten gehören, was Hildebrand uns an Ver-
körperung seines persönlichen Schönheitsideals
geschenkt hat. Sie haben nichts von sinnlicher
und koketter Grazie, sie haben etwas Hoheits-
volles und zugleich etwas Elementares, an
die Mächtigkeit Böcklinscher Fabelwesen er-
innernd, in der Geschlossenheit der Form wieder
über sie hinausgehend. Die eine der Figuren,
die sich am höchsten aufrichtet, ist jedesmal
berechnet, in ihrer reichen Silhouette von der
dunkeln halbrunden Höhle hinter ihr scharf
gezeichnet zu werden.

Die ganze Erfindung atmet eine vollkommene
Einheit, alles ist auf den großen Rhythmus
angelegt. Die Linie schwillt in der Mitte ge-
waltig an, die Melodie klingt nach beiden Seiten
weich aus — unmöglich, diesen Rhythmus zu
zerreißen, unmöglich auch, etwas aus dieser
Sinfonie, etwa gar den bedeutsamen Mittel-
satz, der erst das Hauptmotiv voll bringt, weg-
zulassen, um nur den Vorder- und den Schluß-
satz zu einer anmutigen, aber dann der Größe
ermangelnden Gruppe zusammenzufügen. Fertig
sind im Atelier Hildebrands längst die vier
Figuren der beiden seitlichen Gruppen, und der
über 4 Meter breite Vater Rhein geht der Voll-
endung entgegen. Fertig liegen die Blöcke für die
Hintergrundarchitektur, und die Proben der Be-
handlung sind durch Hildebrand selbst noch aus-
geführt. Für alles liegen die genauesten Modelle
vor, und vor allem stehen jetzt noch in München
die noch von dem Meister geschulten, ganz in
seiner Formengebung erzogenen Kräfte zur Ver-
fügung. Daß diese günstige Konstellation be-
nutzt werden muß, daß diese Tradition nicht
unterbrochen werden darf, daß das ganze Werk,
soweit es eben in München auszuführen ist,
dort auch ausgeführt werden muß, daran darf
kein Zweifel sein. Auch der Vollendung dieses
Werkes treten störend und hemmend entgegen
die scheinbar unübersehbar angeschwollenen
Kosten; aber für die Vollendung des jetzt in
München Begonnenen ist doch relativ nur eine
geringe Summe noch erforderlich, die in gar
keinem Verhältnis steht zu der Bereicherung,
die die Stadt Köln durch diesen beglückenden
Besitz erfahren würde, und zu der Gefahr, daß
ihr das ganze Kunstwerk verloren gehen könnte.

Paul Clemen

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