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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 57.1941-1942

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Kroll, Bruno: Philipp Franck
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https://doi.org/10.11588/diglit.16490#0078
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Ch. M. Maschkow. Die Parteigenossen

Lager aufgeschlagen, und der widerliche Gestank
von Brand und Verwesung, der durch die zerbroche-
nen Fenster von draußen hereindringt, mischt sich
mit dem Geruch von schlechtem Öl und Benzin.
Auf dem anderen Hügel der Stadt erhebt sich der
monströse Neubau der „Oper der sozialistischen
Werktätigen". Die Ehrfurchtslosigkeit und Brutali-
tät, mit der die Kathedrale ihrer ursprünglichen Be-
stimmung enthoben wurde, hat hier ihren architek-
tonischen Ausdruck gefunden. Zwischen armseligen
Holzhütten, deren düstere Freudlosigkeit das wirk-
liche Elend der „sozialistischen Werktätigen" ein-
dringlicher als alle Worte bezeugt, steht unvermit-
telt — und „für das werktätige Volk gebaut" — ein
kalter, grauer Zementkoloß von geradezu amerika-
nischen Ausmaßen. Die UnVerhältnismäßigkeit der
Größe wirkt in natura noch erschlagender, die Zu-
einanderstellung verschiedenartigster Bauelemente
noch sinnloser als auf dem hier wiedergegebenen Ge-
mälde (Abb. S. 46).

Das Ganze macht den Eindruck eines babylonischen
Turmbaues, dem der Krieg ein vorzeitiges Ende ge-
setzt hat — allerdings scheint hier die babylonische
Sprachenverwirrung schon vom Baubeginn an ge-
herrscht zu haben. Wir erfahren denn auch, daß es
sich um eine Kollektivarbeit von mehreren Architek-
ten handelt, und die Beziehungslosigkeit der einzel-
nen Bauteile zueinander beweist, daß dabei keiner
auf den anderen Rücksicht genommen hat. Außer-
dem spielt die Verwechslung von riesenhafter Form-

losigkeit und Monumentalität hier wie auch bei den
übrigen Parteibauten der Bolschewisten eine große
Rolle. Ehrfurchtslosigkeit vor der Natur wie vor jeg-
licher Tradition und die brutale Vergewaltigung
aller Gesetze einer organischen Baukunst sind die
natürlichen Eltern dieser sowjetischen „Kolossal-
architektur".

Mit solchen Eindrücken belastet sucht der Betrachter
zwischen den rauchgeschwärzten Mauerresten der
Innenstadt nach dem Kunstausstellungsgebäude an
der Karl-Marx-Straße. Die Sowjets haben es bekannt-
lich verstanden, durch ihr Fernbleiben von interna-
tionalen Ausstellungen einen Schleier des Geheim-
nisses über ihre bildkünstlerische Entwicklung in
den letzten Jahrzehnten zu breiten. Nun heißt es,
daß in dem Ausstellungsgebäude kurz vor Beginn
des Krieges eine Jubiläumsschau zum zwanzigjähri-
gen Bestehen der Minsker sowjetischen Kunstgenos-
senschaft eröffnet wurde, zu der auch Moskauer
Gäste eingesandt haben — ein Grund mehr, die Er-
wartungen zu spannen.

Das aus dem vorigen Jahrhundert stammende Ge-
bäude zeigt äußerlich klassizistische Formen von vor-
nehmer Zurückhaltung. Dem eintretenden Betrach-
ter stellt sich sogleich eine bis unter die Decke des
Vorraumes reichende Doppelstatue von Lenin und
Stalin entgegen. Er fühlt sich an die zahllosen Monu-
mente gleicher Art auf allen Plätzen, vor und in
allen öffentlichen Gebäuden erinnert und muß not-
gedrungen zu der Ansicht kommen, die sowjetische

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