Weise einigen Nutzen gebracht. Der Ingrimm gegen die Gewissenstyrannei
ist durch sie erweckt, die geschlossene Priestermacht erschüttert worden. Das
Christentum wurde in jenen Gemeinen einmal von seiner politischen und
socialen Seite besprochen, man gewöhnte sich an den Gedanken und die
Praxis der Agitation, lernte für Vereinszwecke Geld opfern und tat einen
resoluten Riß an der Kette, die Staat und Kirche aneinander schmiedet.
Eichhorns System erhielt den ersten fühlbaren Schlag, als er selbst die
Existenz der freien Gemeinen gestatten mußte. Allein trotz alledem, trotz
der noch viel glänzenderen Erfolge, die anfangs dieser Sekte in Aussicht
standen, hätte ich nicht mit Überzeugung zu ihr treten können. Zunächst
ist die ganze Kirche solchen Skandal gar nicht mehr wert. Wer noch dumm
genug ist, an einen mottenfräßigen Lappen sein Herz zu hängen, Wunder
von ihm zu erwarten oder zu glauben, daß überhaupt je Wunder geschehen
sind, an dem ist für die Weltentwicklung weder etwas gewonnen, noch ver-
loren: Er ist nicht Lanzenspitze, sondern Lanzenschaft und fliegt als willen-
lose "Verstärkung der Wucht mit, wohin die Spitze sich richtet. Um religiöse
Torheiten auszurotten, gibt es kein besseres Mittel, als sie zu ignoriren:
Wer auf sie paukt, der nietet sie nur fester in die Gemüter ein. Trennt
nur die Kirche vom Staat und gebt uns die volle Möglichkeit, Bürger zu
werden, ohne Gläubige zu sein — und nachher laßt getrost jeden an-
beten, was er will, sollte es auch der allerverwunderlichste Götze sein.
Kirchenzank aber führt in Deutschland unwiderstehlich immer wieder zur
politischen Knechtschaft. Nun gar gegen die Irrtümer der einen Kirche noch
eine neue Kirche aufbauen, das ist kurzweg ein lächerlicher Apparat. Der
neue Weltglaube des Pantheismus und der nicht mehr idealen, sondern
praktischen Brüderlichkeit hat eben darin sein Herrliches, daß er sich nicht
mehr zur Offenbarung und zum Mysterium lügt, sondern offen als Er-
trägnis des Denkens hinstellt und jedem, der denken will, ihn zugänglich
macht: Darum ist es aber auch ein arger und feiger Rückschritt, wenn er
wieder in eine kirchliche Gemeinschaft sich einsperrt. Man treibt, sagt
Christus, nicht Teufel durch Beelzebub aus. Auf diesem Punkte, glaub' ich,
ist die junge Gemeine sogar mehr oder minder bewußt gradeswegs in die
Lüge verfallen: Sie sind Pantheisten und wollen Christen sein; sie gehören
der Zukunft an und scheuen sich, mit der Vergangenheit zu brechen; sie
lehren Filosofie und heucheln Religion. Wem das Abendmahl nicht mehr
Leib Christi ist, der bedarf auch gar keines Abendmahls mehr: Wer in der
Taufe keine wunderbare Wiedergeburt sieht, der begnüge sich mit der täg-
11 Kinkel, Selbstbiographie
ist durch sie erweckt, die geschlossene Priestermacht erschüttert worden. Das
Christentum wurde in jenen Gemeinen einmal von seiner politischen und
socialen Seite besprochen, man gewöhnte sich an den Gedanken und die
Praxis der Agitation, lernte für Vereinszwecke Geld opfern und tat einen
resoluten Riß an der Kette, die Staat und Kirche aneinander schmiedet.
Eichhorns System erhielt den ersten fühlbaren Schlag, als er selbst die
Existenz der freien Gemeinen gestatten mußte. Allein trotz alledem, trotz
der noch viel glänzenderen Erfolge, die anfangs dieser Sekte in Aussicht
standen, hätte ich nicht mit Überzeugung zu ihr treten können. Zunächst
ist die ganze Kirche solchen Skandal gar nicht mehr wert. Wer noch dumm
genug ist, an einen mottenfräßigen Lappen sein Herz zu hängen, Wunder
von ihm zu erwarten oder zu glauben, daß überhaupt je Wunder geschehen
sind, an dem ist für die Weltentwicklung weder etwas gewonnen, noch ver-
loren: Er ist nicht Lanzenspitze, sondern Lanzenschaft und fliegt als willen-
lose "Verstärkung der Wucht mit, wohin die Spitze sich richtet. Um religiöse
Torheiten auszurotten, gibt es kein besseres Mittel, als sie zu ignoriren:
Wer auf sie paukt, der nietet sie nur fester in die Gemüter ein. Trennt
nur die Kirche vom Staat und gebt uns die volle Möglichkeit, Bürger zu
werden, ohne Gläubige zu sein — und nachher laßt getrost jeden an-
beten, was er will, sollte es auch der allerverwunderlichste Götze sein.
Kirchenzank aber führt in Deutschland unwiderstehlich immer wieder zur
politischen Knechtschaft. Nun gar gegen die Irrtümer der einen Kirche noch
eine neue Kirche aufbauen, das ist kurzweg ein lächerlicher Apparat. Der
neue Weltglaube des Pantheismus und der nicht mehr idealen, sondern
praktischen Brüderlichkeit hat eben darin sein Herrliches, daß er sich nicht
mehr zur Offenbarung und zum Mysterium lügt, sondern offen als Er-
trägnis des Denkens hinstellt und jedem, der denken will, ihn zugänglich
macht: Darum ist es aber auch ein arger und feiger Rückschritt, wenn er
wieder in eine kirchliche Gemeinschaft sich einsperrt. Man treibt, sagt
Christus, nicht Teufel durch Beelzebub aus. Auf diesem Punkte, glaub' ich,
ist die junge Gemeine sogar mehr oder minder bewußt gradeswegs in die
Lüge verfallen: Sie sind Pantheisten und wollen Christen sein; sie gehören
der Zukunft an und scheuen sich, mit der Vergangenheit zu brechen; sie
lehren Filosofie und heucheln Religion. Wem das Abendmahl nicht mehr
Leib Christi ist, der bedarf auch gar keines Abendmahls mehr: Wer in der
Taufe keine wunderbare Wiedergeburt sieht, der begnüge sich mit der täg-
11 Kinkel, Selbstbiographie