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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0376
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den Auftrag anzunehmen, an, was er verlangen würde.
Lenbach erwiderte, dass er es als eine Ehre betrachte,
das Bildnis des grossen Gelehrten zu malen, und nannte
eine verhältnismässig kleine Summe, fügte aber hinzu,
wenn Professor Virchow nicht ein so hartnäckiger Geg-
ner des Fürsten Bismarck gewesen wäre, so würde es ihn
nur zu sehr gefreut haben, das Porträt umsonst zu
malen.

Obwohl Lenbach nicht ein Wort Englisch sprach, hatte
er doch eine grosse Vorliebe für England. Er nannte
London „schön". Wenn ein Feiertag nahte, nahm er
die Gelegenheit wahr und kam stracks auf ein paar Tage
nach London. Er vermied es ängstlich, jemand zu spre-
chen. Im Oktober 1894 kam er herüber, um die Aus-
stellung alter Meister in der Grafton-Gallery zu sehen.
Hier blieb er eine Woche, und, abgesehen davon, dass
ich ihn einmal mitnahm, meinen Freund James M. Co-
ward die Orgel spielen zu hören, sprach er buchstäblich
zu keiner lebenden Seele ausser mit meiner Familie
während jener ganzen Zeit.

Er kam nach England zu den grossen Toten, um sich
an den Werken zu erfreuen, die sie hinterlassen hatten.
Die Nationalgallery war die „Kaaba" seines englischen
Mekkas, und wenn er täglich an ihrem Altar angebetet
hatte, dann kamen die Raphael-Kartons in South Ken-
sington, die Elgin-Marmorbilder im Britischen Museum,
die Wallace-Sammlung und die Westminsterabtei. Wir
gingen auch um die Gemälde in Hampton Court und
in Greenwich zu sehen. Er war nicht sonderlich von
den Standbildern hingerissen, nach Lely oder Kneller
sah er sich nicht viel um. Er war ebensowenig von der
kläglichen Art befriedigt, wie die Bilder in Hampton
Court erhalten waren. Bessere Eindrücke empfing er
in Greenwich. Die Nationalgallery erklärte er für die
in mancher Hinsicht beste öffentliche Gemäldesamm-
lung der Welt. Ich brachte ihn dort des Morgens hin
und liess ihn dort den schönsten Teil des Tages. Er
pflegte sich dann fast endlos über die Vorzüge der eng-
lischen Maler des achtzehnten Jahrhunderts auszulassen.
Aber seine Bewunderung war nicht auf diese Meister
beschränkt. Er war meistens ebenso beredt in seiner
Verehrung für Constable und Turner. Ich habe ihn
sagen hören, dass das beste Werk von Constable oder
Turner höheren Wert besässe als die Landschafts-
malereien einiger Länder zusammen. In der That, er
war nicht der Meinung, dass die Welt je ihresgleichen
hervorgebracht hätte. Aber seine wärmste Sympathie
bewahrte er sich für Reynolds und Gainsborough. Er
beneidete diese Meister um die schönen Frauen und die
vornehm und edel blickenden Männer, die ihnen als
Modelle gesessen hatten.

Von lebenden englischen Künstlern erwähne ich seine
bewundernde Verehrung für Orchardson und besonders
für G. F. Watts. Aber im allgemeinen beharrte er auf
seiner Meinung von dem vergänglichen Charakter der
Kunstwerke unserer Zeit, die — wie er glaubte — mit

wenigen Ausnahmen dazu bestimmt seien, vergessen zu
werden oder doch wenigstens später nur nach dem Wert
ihres Rahmens bezahlt zu werden.

„Wenn Du," fragte ich ihn, „eine so geringe Meinung
von der Kunst unserer Zeit hast, was denkst Du, wird
vielleicht das Schicksal Deiner eigenen Werke sein?"

„Was das anlangt," erwiderte er, „so denke ich, dass
ich möglicherweise eine Aussicht auf Nachruhm haben
kann, aber nur dann, wenn Individualisierung und
Charakterisierung als Eigenschaften von bleibendem
Wert in einem Bilde angesehen werden. Dies werde
ich aber nie wissen, da es nur von den Nachkommen-
den beurteilt werden kann. Wenn jenes Urteil sich
als ungünstig erweisen sollte, dann wird auch mein
Schaffen mit allem übrigen untergehen, denn in seinen
Grundzügen kann es nicht mit den grossen Meistern
der Vergangenheit verglichen werden."

Nach dem ernsten Stück das Satyrspiel. Vilma
v. Parlaghi, die Vorsitzende von Tierschutzvereinen, die
lebhafte Ungarin, die als Künstlerin nicht ohne Begabung,
als Lebenskünstlerin jedoch eminent ist, benutzte den
Tod Lenbachs als Struggle-for-lifeuse, wobei sie nun
freilich von ihrer Klugheit ein wenig im Stiche gelassen
wurde, denn jeder erkennt an ihren Mitteilungen, die der
„Gaulois" und nach ihm die Vossische Zeitung wieder-
giebt, den Untergrund der Eitelkeit:

Ich hatte meine ersten Malstudien in Budapest ge-
macht. Zur Vervollkommnung schickte man mich nach
München, wo ich mich eines Tages zu Lenbach begab
und ihm sagte, dass ich seine Schülerin zu werden
wünschte. Er hörte mich ruhig an, verhielt sich aber
nichts weniger als entgegenkommend und mit einem
mitleidigen Lächeln fragte er: „Du, Kind, willst meine
Schülerin werden?" Ich erwiderte, dass dies mein höch-
ster Wunsch und er für mich der grösste lebende Künst-
ler sei. Darauf Lenbach: „Aber Du weisst doch, dass
ich niemals Schüler gehabt habe und keine haben will.
Wie willst Du es rechtfertigen, dass Du eine solche Bitte
an mich richtest?" Ich bat ihn, es mit mir zu versuchen.
Darauf gab er mir ein Porträt, das er soeben vollendet
hatte, und trug mir auf, es zu kopieren. Mit Begeiste-
rung machte ich mich ans Werk und fertigte die Kopie.
Ich hatte mein ganzes Können darauf verwandt und
mich bis in die kleinsten Details der äussersten Treue
in der Wiedergabe des Originals befleissigt. Ich brachte
dem Meister die beiden Bilder, der sie lange prüfend
betrachtete und dann fragte, wo meine Kopie sei. Ich
wies sie ihm. Lenbach schlug sich aufs Knie, dass es
schallte, und ich in grosse Furcht geriet. „Du, das hast
Du gemacht!" Ich stotterte hervor, das ich gethan hätte,
was in meinen Kräften stand. Da rief der Meister: „Du,
ein Kind! Nun dann, von heute ab bist Du meine
Schülerin. Nur eine Bedingung stelle ich: Du darfst

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