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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 8
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Töpfer, Rudolf; Schur, Ernst: Essai de Physiognomonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0428
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kennen wollen wir wieder gleich zu dem Muster unsere Zuflucht nehmen. Hier sind drei ähnliche Köpfe
auf verschiedenen Körpern (S. 409 unten). In dieser Reihe bemerke ich, dass der Ausdruck eines Kopfes,
sei er mehr geistig oder moralisch, unabhängig von aller Geste und jeder Haltung nach den Veränderungen
des Oberkörpers sich verändert hat. In der That steht das erste Gesicht dem zweiten in Festigkeit
nach; das zweite hat mehr Kraft und durchdringenden Verstand gewonnen; das dritte verliert von
seinem sicheren und klugen durchdringenden Verstand, wenn nicht von seiner Energie und Fertigkeit.

Daraus schliesse ich, dass der
Bau ein indirektes physio-
gnomisches Zeichen ist, das
selbst genug Bedeutung hat,
um die direkten physiogno-
mischen Zeichen, nämlich die
des Gesichts, auf eine sehr
merkwürdige Weise zu ver-
ändern. Dies ist der besondere
eigene Wert des Körpers und
seiner Wiedergabe. Um jetzt
seinen spezifischen Wert zu-
erkennen, nehme ich meine
drei Oberkörper wieder auf und passe verschiedene Köpfe darauf, um zu sehen, ob ich mittels der
Ausdruckszeichen des Gesichts den Wert der Ausdruckszeichen dieser Oberkörper mindern und ver-
nichten kann, wenn ich diese Zeichen entgegenstelle. Nun finde ich, dass der vorhergehenden Reihe zu-
wider, derjenige, der Festigkeit am wenigsten hatte, jetzt am meisten hat, und derjenige, der am meisten
hatte, jetzt am wenigsten hat. Daraus schliesse ich, dass die beständigen Zeichen des Baus, was die An-
deutung der geistigen und moralischen Kräfte betrifft, den beständigen Zeichen des Gesichts sehr weit
nachstehen; aber zu gleicher Zeit muss man wohl bemerken, dass sie weit entfernt sind, unbedeutend
zu sein, da ich in der ersten Reihe den Ausdruck der Festigkeit in der Figur Nr. 1 verdoppeln kann,
wenn ich ihr bloss den Oberkörper der Nr. 2 oder den Bauch der Nr. 3 gebe.

Der Bau ist das letzte physiognomische Zeichen, das wir in dieser Abhandlung betrachten, obgleich
einige Schriftsteller, vom Hang zum Systematisieren verführt, einigen andern Zeichen eine übertriebene
Bedeutung geben. Lavater gab, wenn wir uns nicht irren, zu verstehen, dass, gerade wie BufFon es von
der Schreibweise sagte, man in der Schrift den Menschen erkenne, oder anders gesagt, dass, wie man aus
der Schreibweise die geistigen und moralischen Kräfte eines Schriftstellers folgert, man auch aus seiner
Schrift ganz oder zum Teil die Intelligenz und den Charakter eines Menschen folgern kann. Aber die all-
gemeinen Grundsätze, die wir festgesetzt haben, führen uns von nun an mit Sicherheit zu dem Schluss, dass
diese Meinung Lavaters in ihrer Übertreibung nicht richtig ist, wenn sie auch im Prinzip nicht ganz ohne
Bedeutung ist. Denn es ist folgerecht, aus der schon so geringen und doch berechenbaren Bedeutung der
direkten Bauzeichen, wenn man sie mit den direkten Gesichtszeichen vergleicht, den jedenfalls geringeren,
wenn auch nie ganz unbedeutenden Wert der Zeichen, die noch mehr indirekt sind, zu schliessen. Weil jedoch
dieses Wort BufFons uns Zeichen und Züge ins Gedächtnis ruft, die viel sicherer und edeler sind als
diejenigen, die wir in diesem Aufsatz behandelt haben, wollen wir es mit der Bemerkung schliessen,
dass eine einzige Seite, die ein Mensch schreibt, der imstande ist, über ein bestimmtes Thema zu handeln,
ein viel und unvergleichlich sichereres Kriterium der geistigen und moralischen Kräfte dieses Menschen ist,
weil sie ein direktes Ausfliessen seines Geistes ist, als alle physiognomischen Zeichen seines Gesichts,
einzeln betrachtet oder im ganzen genommen, es sein können.

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