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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Friedländer, Max J.: Der Kunstbesitz von Löwen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0039

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LÖWEN, KANZEL IN ST. PETER

Der erste grosse Verlust war schon in der spa-
nischen Zeit zu beklagen, da die Königin Maria von
der Gilde der Bogenschützen den Altar Rogers van
der Weyden kaufte, der in der Marienkirche vor
den Mauern stand. Das ist die „Kreuzabnahme",
die Philipp II. in den Escurial nahm, jenes Werk,
das an religiösem Ernst, an Gewalt des Ausdrucks
alle niederländischen Kirchenbilder übertrifft. Viele
Kopien und Nachahmungen zeugen von der Wir-
kung, die Rogers Schöpfung übte. Zu Löwen blieb
in dem Edelheer-Altar der Peterskirche eine Nach-
ahmung zurück.

Verhängnisvoll, wie für den belgischen Besitz
allgemein, so für den Bestand in Löwen ward die
antikirchliche Periode Josephs II. und die Zeit der
grossen Revolution. Damals wurden die meisten
Klöster in Löwen aufgehoben und vernichtet.

Die Verluste im neunzehnten Jahrhundert waren
nicht minder schwer. Schon 1817 wurden die
Gerechtigkeitsbilder des Dirk Bouts aus dem Stadt-
hause verkauft. Sie kamen in die Sammlung des

Königs von Holland und später in die Brüs-
seler Galerie. Die Zentralisationsgier des
belgischen Staates beraubte die Stadt eini-
ger Monumente von höchstem Wert. Man
kaufte der Peterskirche eines der beiden
grossen Hauptwerke des Quentin Massys
ab (das andere wird im Museum zu Ant-
werpen bewahrt), den Annenaltar, der jetzt
in der Brüsseler Galerie steht. Eine Tapis-
serie kam ebendaher in das Musee des arts
decoratifs zu Brüssel, wo jetzt auch das ur-
kundlich beglaubigte Schnitzwerk Jan Bor-
mans bewundert wird, das 1403 für die-
selbe Löwener Kirche geschaffen ist, in der
Rogers Escurialtafel einstens stand.

Was ist nach all den Verlusten geblie-
ben? — Das Museum von Löwen, schlecht
im Stadthaus untergebracht, enthält nicht
viel von Bedeutung. Der Kunstforscher,
aber nur er, wird hier gefesselt durch
einige Produktionen des Jan de Rillaer,
eines Löwener Malers, der um 1520, etwa
in der Weise des Brüsselers Bernaert van
Orley, arbeitete.

Die gotischen Kirchen in Löwen —
das Romanische ist bis auf geringe Reste
verschwunden — zeigen, wie fast alle
H mittelalterlichen Bauwerke Belgiens, nicht
jene klare architektonische Gliederung und
Vollkommenheit der Verhältnisse, wie die
französischen Kathedralen, wohl aber dekorativ ma-
lerischen Reichtum im Zusammenhange mit dem
Stadtbild, dem eine ziemlich grosse Zahl einfacher
Privathäuser aus dem fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhundert erhalten ist.

Mehr schmuckhaft wie eine Schöpfung der
Goldschmiedekunst als im strengen Sinn architek-
tektonisch bedeutend ist das Stadthaus, das popu-
lärste Monument, das zwischen 1448 und 1463
erbaut wurde.

Löwen entbehrt nicht eines Anteils an der
ruhmreichen Geschichte der niederländischen Tafel-
malerei, da sich Dirk Bouts um 1445 hier nieder-
liess und bis zu seinem Tode (1475) eine frucht-
bare Thätigkeit entfaltete, die sein zweiter Sohn
Albrecht bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein in
handwerklicher Weise fortführte. Überdies rühmt
die Stadt sich, der Geburtsort des Quentin Massys
zu sein. Dirk Bouts aber stammt nicht aus Löwen,
und die Quellen seiner Kunst liegen anderswo.
Bouts kam von Haarlem, wo er um 1410 geboren

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