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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 5
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Rhein, Fritz: Feldpostbriefe aus dem Westen: [2]: mit Zeichnungen vom Kriegsschauplatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0240

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müssen sie unter Aufsicht als Strassenreiniger ar-
beiten — es kommt ihnen eigenartig vor, denn es
sind alles wohlhabende Leute. In unserem Zimmer
sitzt eine alte, lahme Frau, deren Mann neulich in
der Kirche starb, seitdem sitzt sie umher ohne zu
sprechen und wenn man sie ansieht, heult sie. Das
Dorf ist von der französischen Artillerie schrecklich
zugerichtet, eine Unmenge schöner Möbel und Ge-
räte sind vernichtet, die Leute haben so gut wie
alles verloren; sowie man mit ihnen spricht, geht
das Jammern und Klagen los, man darf überhaupt
nicht hinsehen. Die Soldaten nehmen auch noch
vieles, es muss für alles ein mit einem Bataillons-

Durchbruchsversuch wird immer durch Artillerie
vorbereitet, man soll materiell und seelisch erschüt-
tert werden, die Infanterie thut dann vor Morgen-
grauen ihr Teil. Deshalb war bei uns von 4 Uhr
morgens an alles auf den Beinen, es kam aber nichts.
Nun muss man bedenken, dass so wie so schon ein
Teil der Leute die Nacht durchwacht, zum Teil
hundert Mann vor der Front als Horchposten oder
Patrouillen, und ein Teil an der Verbesserung des
Grabens arbeitet. Wir Leutnants und Feldwebel
teilen uns in den Wachdienst. Sonntag abend be-
zog unsere Kompagnie allein einen anderen Graben.
Bei ganz klarem Vollmond mussten wir zehn Mi-

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FRITZ RHEIN, BOMBARDIERTES DORF

Stempel versehener Bon gegeben werden, damit die
französische Regierung später alles ersetzt.

Heute Nachmittag um x/2$ ist Abmarsch, eine
Stunde vorher muss alles gepackt sein, die Koffer
kommen auf die Bagagewagen. Das Wetter ist
wärmlich, es regnet gern und fisselig.

Die sonst so scharf umrissenen Konturen unse-
rer lieben Gräben lösen sich auf und werden an
unseren Rutschpartien und Knien mitgenommen.
Von Sonnabend 8 bis Montag sassen wir darin.
Die französische Artillerie interessierte sich Tag und
Nacht zunehmend für uns. Ich las dazu Homer und
die musikalischen Novellen von E. T. H. Hoffmann
(Don Juan, köstlich), mit solcher Speise lebt man
selbst im Schützengraben. Die erhöhte Thätigkeit
der Herrn Franzosen fiel auf. Ein Angriff oder

nuten lang in die neue Stellung laufen im Angesicht
der Franzosen. Um */26 morgens rückt die Kom-
pagnie dann bis auf mich und meinen Zug in
Reservestellung. Gleich daraufging auf einmal eine
unglaubliche französische Kanonade los. Es war
stockfinster geworden und regnete, man sah nur
auf hundert Meter die grossen Gegenstände undeut-
lich, wie Häuser und Bäume. Aber an allen Ecken,
am Horizont und näher blitzten Dutzende von Batte-
rien zugleich, wo sonst nichts von Artillerie zu be-
merken gewesen war. Wahrscheinlich war per Bahn
alles Verfügbare herangeschafft worden für einen
Coup. Jeden Augenblick erwartete man den In-
fanterieangriff. Meine Stellung flankierte das Dorf,
und unsere eben verlassene Stellung, auf die gings.
Es war ein fabelhaftes Konzert. Dann fing auch

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