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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 5
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Wie unsere Kinder den Krieg sehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0253
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AN DER RUSSISCHEN GRENZE. ZEICHNUNG EINES SCHULERS DER QUARTA
FICHTE-GYMNASIUM, BERLIN

WIE UNSERE KINDER DEN KRIEG SEHEN

Neulich hielt mir ein Bekannter eine flammende
Rede. Der Krieg, den wir erleben, sei so grausam,
sei so voll unerwarteter Schrecken, dass er sicher der
letzte sein würde. Eine Wiederholung solcher Menschen-
schlächterei sei nicht mehr möglich. Er wurde um so
heftiger, je bestimmter ich den Kopf schüttelte. Als er
endlich inne hielt, um nun doch meine Gegengründe
zu vernehmen, wies ich wortlos mit dem Finger zum
Fenster hinaus. Dort zogen Gymnasiasten, wohl an die
hundert, im strammen Gleichschritt vorbei, eine Binde
um den Arm, eine Militä'rmütze auf dem Kopf, um auf
dem Felde zu üben. Und hinterher kam ein anderer
Trupp gezogen, vornweg Zwölfjährige und dann immer
Kleinere bis zu den Fünfjährigen hinab, alle mit Fahnen,
Gewehren, Pistolen und Säbeln, aus voller Kinderkehle
ein Vaterlandslied singend.

Es beschäftigt sich heute die ganze deutsche Jugend
mit dem Krieg. Er ist in allen ihren Beschäftigungen,
in allen ihren Spielen und Phantasien. Er ist gewaltsam
auch in die Zeichenklassen unserer Gymnasien gedrungen

und das einzige Motiv der jungen Zeichenversuche
geworden. Wenigstens dort, wo ein verständiger Lehrer
die Knaben bei ihren lebendigsten Interessen zu fassen
weiss und wo es ihm gelingt, in das Spiel unmerklich
den Ernst des Handwerkes und der fleissigen Arbeit zu
bringen. Wir bilden hier einige Kriegszeichnungen ab,
die aus einer grossen Anzahl ähnlicher und gleichwer-
tiger Blätter ausgewählt worden sind und die der Art
nach, wie sie entstanden sind, etwas Vorbildliches haben.
Sie stammen aus der Zeichenklasse des Berliner Fichte-
Gymnasiums in der Emser Strasse und sind unter der
Anleitung des dort als Lehrer thätigen Malers Thon
angefertigt worden. Es sind durchweg farbige Aquarell-
oder Guascheblätter; sie alle sind frei aus der Phanta-
sie, ohne Vorlagen oder andere Hilfsmittel gezeichnet,
der Lehrer hat nichts daran gethan, sondern nur in
kritischen Augenblicken allgemeine Ratschläge gegeben.
Eben darum lässt sich von diesen Zeichnungen deutlich
ablesen, wie die Knaben sich den Krieg vorstellen und
wie sich die Begabung naiv äussert.

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