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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 7
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Kristeller, Paul: Martin Schongauers Kupferstiche
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0360
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MARTIN SCHONGAUER, DER MÜLLER MIT DEN ESELN

MARTIN SCHONGAÜERS KUPFERSTICHE

VON

PAUL KRISTELLER

er befruchtende Staub der schnell zu
voller Pracht aufgegangenen Blüte der
niederländischen Malerei konnte, weit-
hin geweht, die nachbarlichen Pflan-
zungen der deutschen Kunst nicht
unberührt lassen. Nach herrlichen
Leistungen von eigenem Stilgepräge in der ersten
Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts war die deutsche
Malerei gegen die Mitte des Jahrhunderts in eine Pe-
riode einer gewissen Schwächung eingetreten, die sie
fremden Einflüssen um so leichter zugänglich machen
musste. Auch das stärkste Talent der deutschen Kunst
der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, auch
Martin Schongauer konnte so wenig wie seine Zeit-
genossen dem Zauber der niederländischen Meister-
schaft den Zoll seiner Bewunderung versagen. Seine
Lehrjahre, er ist um 1445 geboren, fielen in die Zeit
der Ruhmeshöhe der niederländischen Malerei. Es ist
unzweifelhaft, dass Schongauer besonders die Werke
Rogers von der Weyden studiert und die Gerüste
mancher seiner Kompositionen, seiner Bewegungsmotive
und Formen nach diesem Muster aufgebaut hat. Aber
es waren doch nur Schemata, Prinzipien der Bildung,
sozusagen eine malerische Harmonielehre, die er ent-
lehnte, Umrisse, die er durch eigene eindringlichste
Naturbeobachtung und durch eigenen poetischen Ge-
fühlsinhalt mit frischem Leben erfüllte.

Schon früh hat sich Schongauer die Gunst auch der
ihm wesensfremden Romanen, der Italiener wie der
Spanier, erworben und bis tief in die Zeit der Renaissance
erhalten. Was die Italiener an ihm besonders schätzen,
war wohl der unerschöpfliche Reichtum seinerPhantasie,
die Fülle geistvoller Motive und die scharfe Charakte-
ristik der Gestalten; das was man später hier auch an
Dürer und Lukas von Leyden bewunderte. Uns macht
vor allem die innige Zartheit und Einfachheit im Aus-
drucke der Empfindungen die Werke des freundlichen
Meisters, den man wohl nicht nur wegen seiner Gestalt,
„hipsch Martin" nannte, lieb und wert. Die Augen
seiner Menschen sind klar und hell und ihre leise be-
wegten Züge verraten eine fast schüchtern verhaltene
innere Erregung, bei aller gesunden Frische der Lebens-
äusserung einen Schatten von Wehmut. Man gewinnt
sogleich die Gewissheit, dass jedes ausgesprochene Gefühl
rein und unbewusst aus der Seele des Künstlers strömte.
In seiner Einfachheit und Anmut könnte man Schon-
gauer vielleicht dem schöpferisch freilich viel gewalti-
geren Mozart an die Seite stellen.

Von Schongauers Gemälden ist wenig erhalten.
Trotz ihrer Vorzüglichkeiten würden sie seinen Ruhm,
heute wenigstens, kaum rechtfertigen und stützen
können. Seine Bedeutung hat sich aber wohl schon in
seiner eigenen Zeit wesentlich auf der stattlichen Reihe
der Meisterwerke seines Grabstichels gegründet, die

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