Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Antwort
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0560

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
das, was sie Ganzheit nennen, auf Gedankenwegen;
jene „Naturalisten" suchen die schöne Wahrheit und
die realistische Schönheit, diese „Idealisten" meinen den
immer doch grob naturalistischen Gegenstand und die
literarische Idee; jene haben einen Stil, diese stilisieren;
jene schaffen neue Formen, diese müssen immer halb
eklektizistisch oder nachahmend arbeiten; jene führen
die Tradition lebendig fort, diese werden immer mehr
oder weniger konventionell. Mit einem Wort: bei
jenen ist die Form, bei diesen sind die Formen. Ob
das Resultat dort skizzistisch ist und hier peinlich genau,
ob die Arbeitsweise „faul" oder fleissig erscheint, ist
für den Wert der Form nicht ausschlaggebend. Die
Form ist in der Kunst die geheimnisvolle Hieroglyphe,
worin sich ein reines und starkes Gefühl so ausdrückt,
dass es im Betrachter wieder erweckt wird — das heisst,
wenn auch im Betrachter die Gefühlskraft rein und
stark ist. Die Kraft des Künstlers, diese Form zu er-
finden, sie „aus der Natur herauszureissen", heisst
Talent. Dieses lebendige und lebenweckende Talent
nun finden wir auch in den letzten Arbeiten „Lieber-
manns, Trübners, Corinths, Slevogts", wogegen wir es
bei Thoma nur in gewissen schönen Arbeiten der Früh-
zeit unzweideutig erkennen, nicht oder nur sehr bedingt
aber in seinen Bildern der letzten Jahre. Und darum
glauben wir, wie immer wir die Bedeutung und Persön-
lichkeit Thomas auch ehren, es sei falsch zu meinen,
dass „Liebermann, Trübner, Slevogt zur Entwicklung
der deutschen Malerei keine vorwiegende Rolle spielen"-
Wir glauben im Gegenteil, dass diese Künstler ihre histo-
rische Mission schon deutlich gemacht haben.

Was von Thoma und den Seinen irgend zu sagen
und zu rühmen war, ist in „Kunst und Künstler" ge-
schehen. Die Jahresbände legen davon Zeugnis ab, dass
wir diese Künstler keineswegs „ignoriert" haben. Und
wir würden uns mit wahrem Eifer weiter für sie ein-
setzen, wenn neue Werke da wären, die sich vertreten
lassen. Was uns und die, die wie der Briefschreiber
sprechen, grundsätzlich trennt, ist dieses: die An-
kläger meinen, „Kunst und Künstler" sei keine natio-
nale deutsche Kunstzeitschrift, sondern das Organ
eines kleinen Kreises, einer Klique wohl gar; wir aber
sind überzeugt, dass unser Urteil in wesentlichen Zügen

das Urteil der Geschichte sein wird und dass die
Zeitschrift dadurch allein schon zu einem Organ des
deutschen Kunsturteils im höheren Sinne wird. Wir
erstreben Erkenntnis des Dauernden in der Kunst,
nicht aber den Ruf eines „unparteiischen Richters".
Wir wollen überhaupt nicht richten, sondern das
Echte lieben, das Unzulängliche ignorieren, das Schäd-
liche hassen; für die gute Kunst aber wollen wir un-
zweideutig Partei ergreifen. Glücklich wären wir, wenn
die Zahl der Talente zehnmal grösser, wenn die Fülle
guter Werke kaum zu bewältigen wäre. Unsere Auf-
gabe ist nur darum schwer, weil wir in der That nicht
behaupten, dass „ein herrlich gewolltes Kunstwerk
wertvoller ist als ein fertiges, wirkliches Kunstwerk",
weil wir von jeher für das Können eingetreten sind,
wogegen der Briefschreiber de facto das Wollen über
das Können stellt. Sonst würde er ja nicht sagen, Thoma
sei schon darum besser als Liebermann, weil er mit
Marees verwandt ist. Verwandtschaft legitimiert nicht,
nur Talent und Persönlichkeit thun es. Wir wollen uns
nicht in eine Polemik gegen Thoma drängen lassen.
Auch er ist ein ernster Wert innerhalb der neueren
deutschen Kunst und wir sprechen von ihm mit dem
Hut in der Hand; wenn er aber immer wieder hinge-
stellt wird als ein Kunstpatron aller Deutschen, als ein
zweiter Dürer, so sind wir für diese ethisch verkappte
Sentimentalität nicht zu haben und müssen es sagen.
In Wahrheit ist der Versuch, die stille Ludwig Richter-
Begabung Thomas ins Elementare zu erhöhen, „unsach-
lich und ungerecht". Die Vorwürfe fallen auf die
zurück, die sie machen.

Dass ihrer viele sind, fällt nicht ins Gewicht. Viel-
leicht wird es nach dem Kriege etwas besser, vielleicht
wird es zeitweise noch schlimmer. Mag kommen, was
kommen muss. Wir haben es viele Jahre schon mit an-
gesehen und wollen es weiter mit ansehen. Nicht mit
dem Dünkel der Unfehlbarkeit, aber gewiss, den Sinn
für das Echte zu haben; nicht resigniert, sondern in der
festen Überzeugung, dass nur die Qualität ausdauert
und dass nur für diese der rechte Mann sich regen darf.
„Kunst und Künstler" das heisst in diesem Sinne: die
echte Kunst und die rechten Künstler!

Karl Scheffler

FRANZ POCCI, ILLUSTRATION
528
 
Annotationen