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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 11
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Scheffler, Karl: Qualität und Gesinnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0424

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in ideologischen Irrtümern sich verstrickend, sogar
unehrlich gegen sich selbst und gegen die Öffent-
lichkeit zu werden. Gesinnung ohne Qualität führt
stets zur Programmatik, zur Tendenz und weiter-
hin zur mehr oder weniger leeren Geste. Gesinnung
im Verein mit Qualität aber ist ein Pleonasmus.
Beides ist in ähnlicher Weise eine untrennbare
Einheit wie Talent und Charakter. Man darf bei
solchem Vergleich freilich das Wort Charakter nicht
gesellschaftlich verstehen. Der Künstler kann, sozial
betrachtet, manchen Fehler haben, er kann unzu-
verlässig als Staatsbürger und Familienvater und
unmoralisch im Sinn der Gesellschaft sein. Als
Künstler aber hat er bei alledem höchsten Charakter,
sofern seine Kunst Qualität hat. Und ein Künstler
kann andererseits aufs höchste edel sein und voller
lebendiger Instinkte für das Wesen seiner Zeit, er
kann der lauterste Mensch sein, in allen seinen Ge-
danken und Handlungen getragen von einer genia-
lischen Gesinnung — und seine Kunst kann doch
charakterlos sein. Qualität haben, das heisst: in
seinem Charakter in seinen Gesinnungen tausend-
fach erprobt sein, hundertfach gesiegt und das
Wollen restlos, alle Widerstände überwindend, in
ein Können verwandelt haben. Welcher Jüngling
hat wohl nicht einen sehr guten Willen, solange
ihn die Not des Lebens noch nicht zu verführen
und in Kompromissen zu verstricken sucht! Welcher
Jüngling fühlt nicht mit seiner Zeit, blickt nicht in
die Zukunft! Das alles aber entscheidet nicht. Die
Qualität des Künstlerwerks setzt ein langes Mannes-
leben voll von bestandenen Prüfungen und Selbst-
korrekturen, voll von unablässiger praktischer,
nicht theoretischer Veredlung voraus. Sie ist die
Frucht einer permament gewordenen Gesinnung,
sie ist die in Fleisch und Blut übergegangene, die
in konkrete Kunstwerke verwandelbare, Konven-
tionen nicht unterworfene Lebensmoral. In der
Qualität ist ohne weiteres eine erprobte Wahrheits-
liebe enthalten, es ist bewährter Wille darin und
ein heiliger Gehorsam gegen das Leben, es ist in
ihr, und nur in ihr, künstlerische Phantasie und zu-
gleich Ehrfurcht vor den Gesetzen der Formge-
staltung, es ist darin die Kenntnis der eigenen
Kraft und ihr Gebrauch bis zur Grenze des Mög-
lichen — aber auch nicht darüber hinaus. Die
Qualität setzt nicht nur gestaltendes Talent und
schöpferische Fähigkeit voraus (was die Gesinnung
nicht thut), sondern auch Fleiss, Ernst, und Hand-
werkstüchtigkeit. Das „gute Handwerk" ist nichts
Untergeordnetes, ist nicht Mittel zum Zweck,

sondern ist ein Teil der Qualität selbst, es ist ein
Prüfstein der Gesinnung, nicht umgekehrt. Ge-
sinnung so ganz im allgemeinen haben und sie mit
Worten äussern, „die in Purpur und Ultramarin"
waten, oder sie bethätigen, indem man mit dem
Letzten beginnt und nur das Höchste überhaupt
gelten lässt, das ist wohlfeil; worauf es ankommt,
ist, dass Gesinnung in jedem Pinselstrich sei.
Idealistengesinnung, Zukunftsideen kann jeder Fant
haben; gute Handwerkergesinnung hat nur der er-
probte Meister.

Ein Beispiel: man hört heute allerenden die
Phrase aussprechen und wiederholen, die Im-
pressionisten, also genauer gesagt, die grossen Maler
der vorigen Generation, hätten „nur die zufällige
Erscheinung" gemalt. Ihre Bilder seien willkürliche
Naturausschnittc. Dieselben Leute, die so laut von
Gesinnung reden, vermögen in diesem Fall also
nicht zu erkennen, dass die Bilder dieser Meister
ebenso streng komponiert und abgewogen sind,
dass Farbe und Zeichnung ebenso altmeisterlich
kultiviert sind, wie es die Stilkunst der Heutigen
fordert — aber ohne diese Forderung zu erfüllen.
Die Qualität des Urteils versteht sich hier leider
nicht von selbst. Sonst würden die überlegen sich
Gebärdenden einsehen, dass die künstlerische Ord-
nung in den Bildern der Impressionisten nur nicht
so offen zu Tage liegt, dass sie aber eben darum in
höherem Grade vorhanden ist. Denn eine jedem
und dem ersten Blick sichtbare Ordnung ist viel
leichter zu erzielen, sie ist aber auch viel weniger
nachhaltig. Nichts leichter als „komponieren",
nichts schwerer als eine geistige Ordnung herstellen
und doch den Schein des unmittelbar Lebendigen
erwecken. Dieses letzte thaten die grossen alten
Meister. Der Gesinnung nach möchten viele der
Neueren nun freilich sehr gern den alten Meistern
gleichen. Sie kennen aber nicht das Mittel, sie
wissen nicht, dass der Weg einzig über die Quali-
tät führt. Und weil sie es nicht wissen, oder weil
ihnen sonst der Weg zum Können versperrt ist,
werden sie heftig, prunken sie mit höchster Sicher-
heit, übertreiben sie nach Seiten der Kunstge-
sinnung — und können es doch nicht vermeiden,
dass sich dem schärfer blickenden Auge ihre Form
als unsicher, als schwankend, als konventionell und
akademisch darstellt. Bei ihnen stellt sich sehr oft
die „Gesinnung" nur darum ein, weil ihnen das
Wesentliche der Wirkungskenntnis fehlt, weil sie
ihren Eklektizismus verhüllen wollen.

Worringer fragt in seinem Aufsatz weiter:
 
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