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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 11
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Scheffler, Karl: Qualität und Gesinnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0425

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„Gesinnung — woran sie messen?" Die Antwort
kann nur lauten: allein an der Qualität. Denn
diese ist das einzig Bleibende und Feste in der
Kunst neben den ewigen Metamorphosen der Ge-
sinnung. Es giebt gar keinen anderen Maasstab
für Kunst als die Qualität. Alles andere ist fliessend
oder wankend, ist dem Irrtum, der Tendenz, dem
StilbegrifF, einer falschen Romantik und der Lüge
unterworfen. Die Qualität allein steht über den
Irrungen und Wirrungen der Parteien, sie ist das
Ruhende in der Erscheinungen Flucht. Sie ist aber
deswegen nicht etwa ohne Verbindung mit dem
Zeitgeist, ist nicht unlebendig und abstrakt. Im
Gegenteil, eben sie ist ganz ein Kind dessen, was
Manet „contemporaneite" nannte. Sie kann nur
entstehen, wo das höchste Leben ist, wo die seit
Anbeginn der Kunst immer wieder neu geschaffenen
Vollkommenheitswerte noch einmal geschaffen
werden, als geschähe es zum ersten Mal. Zum
Schöpfungsakt der Qualität ist es nötig, dass sich
im Künstler die Zeitgesinnung aufs äusserste steigert,
dass er das Wollen seiner ganzen Generation zu-
sammenfasst und dass sein Werk ein Stück Zukunft
vorwegnimmt. Ein Werk von Qualität ist nie alt-
modisch, so sehr es auch den Anschein haben mag;
dagegen kann ein Werk von scheinbar modernster
Gesinnung sich als ganz petrefakt erweisen, wenn
es der Qualität ermangelt.

Die Betonung des Wortes Gesinnung in unserer
Zeit lässt leider vermuten, dass sich ein Unvermögen,
das den Trägern Pein bereitet, dieser Geste bedient.
Zu oft hat gerade die Schwäche mit diesem Wort
geprunkt, als dass nicht eine Warnung am Platze
wäre. Die Nazarener hatten ebenfalls Gesinnung.
Cornelius hatte sie und alle die gedankenschweren

Stilisten der deutschen Kunst bis hinab zu den ganz
leeren Formalisten. Verehrungswürdige Männer
waren es in vielen Fällen; aber möge uns der Him-
mel behüten, selbst vor einer neuen Gesinnungs-
kunst, wie Feuerbach sie repräsentiert. Und das
ist noch die beste Möglichkeit. Weit schlimmer
ist, dass sich des Wortes Gesinnung so leicht die
im Grunde ihres Herzens Gesinnungslosen bemäch-
tigen können, Künstler, die nichts wahrhaft lieben
und hassen, in deren Leben kein Müssen ist, son-
dern bestenfalls ein vages Wünschen. Um alles zu
sagen: Gesinnung ohne Qualität oder getrennt vom
Begriff der Qualität führt sehr oft zur Verderbtheit
der Instinkte und zu einer allgemeinen idealistischen
Verlogenheit. Mancher Künstler unserer Tage
würde sich entsetzen, wenn er sehen könnte, welche
Verheerungen heute in der Kunst diese Verlogen-
heit anzurichten im Begriff ist, wie viele betrogene
Betrüger es in den Reihen unserer so gesinnungs-
stark auftretenden Jugend giebt und wie daran
nichts schuld ist als — die Unfähigkeit, zur Quali-
tät zu gelangen.

Die Ereignisse werden ihren Lauf nehmen.
Eine Mahnung wie diese wird sie natürlich in
keiner Weise aufhalten, wird sie kaum beeinflussen.
Der Gesinnungsdrang hat heute etwas Epidemisches.
Aber es soll an einer Stelle wenigstens mit allem
Nachdruck gesagt werden, dass die deutschen Künst-
ler auf diesem Wege einem steilen Berg zustreben,
den sie nie werden erklettern können und dass der
Rückweg zum Ausgangspunkt sie und die Nation
wieder einmal wertvolle Zeit kosten wird, dass die
Betonung des Wollens vor oder selbst neben, nicht
aber in dem Können die Problematik der deutschen
Kunst nur vermehrt.

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