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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 6
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Waldmann, Emil: Janusköpfe der Genialität
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0217

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JANÜSKÖPFE DER GENIALITÄT

VON

EMIL WALD MANN

Dass Goethe und Schiller auf dem berühmten
Weimarer Denkmal brüderlich vereint auf
demselben Postament dastehen, hat oft und mit Recht
Anlass zu Bedenken gegeben. Sie wären zwei so
grundverschiedene Naturen und von Hand in Hand
gehen wäre keine Rede gewesen. Und thatsächlich
hatten sie innerlich ja manches zu überwinden, bis
sie zueinander kamen. Aber dennoch, für das
Volksempfinden gehören sie nun einmal zusammen.
Wohl, weil sie sich ergänzen. Die Blüte der gei-
stigen Kultur jener Zeit ist in ihren beiden Namen
ausgedrückt, so wie in der Musik in Mozart und
Beethoven. Sie waren einander womöglich noch
unähnlicher. Aber die Vorstellung der Sonnenhöhe
unserer Musik, nur durch den Namen Beethoven
ausgedrückt, wäre unvollständig. Mozart muss da-
neben stehen, ganz gleich, wer grösser war.

Es scheint, dass es sich nicht um eine Laune
der Natur handelt,, wenn sie, auf den Höhepunkten
einer Kunstentwicklung angelangt, die Genies paar-

weise auf die Welt bringt. Sie scheint dann in
Paaren zu denken, in Doppelgipfeln. Die Kunst
trägt dann einen Januskopf, der eine schaut in die
Zukunft, der andere umfasst mit einem ganzen,
vollen Blick noch einmal die Vergangenheit. Mo-
zart sehliesst die Entwicklung eines Jahrhunderts ab
und vertieft alles, was an Ausdrucksform da war,
zu einer letzten, ungeahnten Vollendung, er glaubt
an die Tradition, er schafft in ihr und — beseligt
sie. Beethoven stürmt gegen die Schranken der
Tradition an, er reisst sie um, er schafft eine neue
musikalische Weltanschauung von eigenen Gnaden
und erfindet eine Welt von neuen Ausdrucks-
möglichkeiten. Man hat nicht alles gesagt, wenn
man „reine Musik"- und „Gedankenmusik,, in eine
Antithese setzt. Man muss das historische Moment
hinzunehmen, und daran erinnern, was für Ent-
wicklungen dereine abgeschlossen, welche Zukunft
der andere eröffnet hat. In der bildenden Kunst
ist es nicht anders. Wenn ein Volk auf dem Zenith

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