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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 10
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Scheffler, Karl: Ferdinand Hodler (gest.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0413

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FERDINAND HODLER f

Vi

KARL SC

Am 20. Mai ist Ferdinand Hodler in Genf gestor-
/\ ben. Im Alter von fünfundsechzig Jahren. Im
Schweizerland verehrt wie ein Nationalheros, in
Deutschland unbestritten fast anerkannt als der Führer
eines neuen Stilwillens, und in den andern europäischen
Ländern auch von denen geachtet, die zu seiner Kunst
ein unmittelbares Verhältnis nicht haben gewinnen
können.

Wenn nicht alles täuscht, hat Ferdinand Hodler den
Höhepunkt seines Ruhmes aber schon bei Lebzeiten
erreicht. Den Höhepunkt eines Ruhmes, der sich ver-
hältnismässig schnell, ja gewaltsam im Kunstgetümmel(
der Zeit Bahn gebrochen hat und an den grosse Hoff-
nungen geknüpft worden sind. Hodler trat in einem
Augenblick auf, wo weitere Kreise der impressio-
nistischen Kunst überdrüssig zu werden und laut
von „Stil" zu sprechen begannen. Das ist ein Wort,
dem der Deutsche, dem der Germane im weiteren
Sinne sogar, niemals widersteht. Hodlers Stilkunst
wurde, nach dem obligaten, diesmal aber ziemlich kurzen
Entsetzen, mit einem Ruf begrüsst, aus dem man eine
gewisse Erlösung heraushören konnte. Kluge und wohl-
meinende Leute atmeten sichtbar auf. Es tauchte die
Argumentation zuerst auf, dieser neue Stil wäre be-
rufen den Impressionismus zu „überwinden", er habe
den Impressionismus vollständig verarbeitet und sei,
siegreich idealisierend, darüber hinausgegangen. Mit
überraschender Schnelligkeit hat die Kunst Hodlers
dann Schule gemacht. Zunächst in der Schweiz, wo
sich die jungen Maler dem Einflüsse des gewaltsamen
Stilisten ebensowenig entziehen können, wie in Deutsch-
land die jungen Musiker dem Einfluss Richard Wagners
auszuweichen vermochten. Dann aber sind auch in allen
europäischen Ländern fast verwandte Stilbestrebungen
zutage getreten.

Man kann den Geist dieser neuen Stilkunst ein
modernes Nazarenertum nennen. Das soll heissen, dass
es sich um eine neue BegrifFs- und Gedankenkunst
handelt, in die sich die moderne Menschheit hinein-
flüchtet, weil sie die Geistesfreiheit, die der Verkehr
mit dem Impressionismus fordert, nicht länger als
einige Jahrzehnte hat ertragen können. Die euro-
päische Menschheit will wieder sichtbare Zäune und
Schranken im Geistigen, sie will das Kunstgesetz nicht
nur genialisch ahnen, sondern will es begriffllich kennen
und mathematisch verstehen, sie kann es dauernd nicht
ertragen, das gross Kosmische aus jedem Winkel der
Natur hervorleuchten zu sehen, das Göttliche in jeder
Werktagsminute zn fühlen und sich überall, be-
ständig umflossen zu fühlen von den ewigen Geheim-

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DN

HEFFLER

nissen, die tief im Gemeinen wohnen und wurzeln; sie
braucht eine neue Systematik, eine neue Symbolik, ein
neues BegrifFsleben, das die Stunde, den Tag entlastet
und aus dem heraus neue Konventionen der Kunst ge-
bildet werden können, sie will an Stelle des Fliessenden
wieder ein Festes, ja ein Starres setzen; etwas, das sich
beweisen, erklären und begreifen lässt. Aus dieser
Stimmung heraus ist Hodlers Erfolg zu verstehen. Sein
Nazarenertum hat natürlich beim ersten Blick ein ganz
anderes Gesicht als die Kunst der Nazarener im Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts; es ist viel urwüchsiger,
gesünder, sinnlicher und starkknochiger. Im Kern aber
ist hier und dort etwas Verwandtes. In dem Karton-
und Freskotemperament des kühnen Schweizers ist das
Nazarenertum, wenn man will, impressionistisch ge-
worden, das heisst, es hat Züge der herrschenden
Malerei, der neuen künstlerischen Weltanschauung an-
genommen; der Geist aber ist der alte unsterbliche ger-
manische Nazarenergeist.

Weniger allgemein kann man auch sagen: Hod-
lers Stilkunst ist ein schweizerischer Präraffaelitismus.
Man beachte, dass sowohl die PrärafFaeliten in Eng-
land vor fünfzig Jahren wie auch die Nazarener vor
hundert Jahren als Revolutionäre auftraten, während
sie eine Reaktion wollten. Dieser scheinbare Wider-
spruch erklärt sich, weil es sich hier und dort um eine
Kunst handelt, in der Gedanken und BegrifFe das Pri-
märe sind, nicht die Formen. Die Formen wurden
vielmehr mit persönlich gefärbter Programmatik, eklek-
tizistisch den alten Meistern und zugleich auch der
Natur entnommen, und sie empfingen ihre originelle
oder doch zuerst sehr originell erscheinende Prägung im
wesentlichen von der Idee. Zugespitzte BegrifFe, Ge-
danken, die sich absichtsvoll verdichtet haben, wirken
stets errregend. Sie wirken neu, sie sind es auch
wohl oft; dabei braucht aber das rein Künstlerische,
dessen sie sich bedienen, keineswegs neu zu sein. Die
Form wird von der Sensation der Idee gewissermassen
mitgerissen, sie nimmt einen Zug von Grösse und Neu-
heit an, der zuerst verwirrt und unterjocht, in dem
Maasse aber, wie einem die Ideen vertraut werden, und
wie man den Formen kritisch gegenübertritt, verlieren
sie an Kraft und Unmittelbarkeit. So war es bei
Böcklin, Segantini, Thoma und Klinger, bei Cornelius
und Overbeck, bei Puvis de Chavannes und den eng-
lischen PrärafFaeliten. Und ähnlich ist es nun auch
mit Hodler. Auch seine Kunst wirkt sensationeller, im
Ganzen und in den einzelnen Werken, als die Form es
beim genauen Hinsehen rechtfertigt. Wenn man
Hodlers Bilder mit denen von Burne-Jones etwa

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