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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 10
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Scheffler, Karl: Ferdinand Hodler (gest.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0414

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vergleicht, und sie dann schweizerisch präraffaelitisch
nennt, so muss man allerdings laut das Wort schwei-
zerisch betonen. Denn der Unterschied im Nationalen
spricht in diesem Fall sehr stark mit. Die Volks-
empfindung in England hat die Präraffaeliten zu einer
gewissen Glätte und Süsslichkeit, zu schwächlicher An-
mut, zu einer frauenhaften Gotik und zu vielen leeren
Kunstgewerblichkeiten verführt; der Schweizer ist dem-
gegenüber malerisch und zeichnerisch viel kräftiger,
viel sinnlicher und elementarer. Ein starkes bäuerisches
Element ist in seiner Stilkunst. Die Engländer sind
Detaillisten und bleiben stets flächenhafte Zeichner;
Hodler ist ein Totalist und voller Malerinstinkte. Aber
bei allen Unterschieden, bei allen Vorzügen Hodlers
besteht im Grundzug doch die Verwandtschaft.

Die Schweiz hat alle Ursache, auf diesen Künstler
stolz zu sein; denn er war eine Persönlichkeit von sel-
ten starkem Wuchs, ein Talent, in dessen Wesen nichts
Unklares war, das ganz deutliche Absichten hatte und
sie immer deutlich aussprach. Hodler war ein Künst-
ler, der fest auf dem Boden seines Volkstums stand
und der doch auch Instinkte einer ganzen Zeit künst-
lerisch zu verkörpern gewusst hat. Unter den heute
schaffenden Begabungen war er eine der entschiedensten;
er wirkte richtunggebend, wie es nur ein Künstler kann,
in dem Talent und Menschentum vollständig eines ge-
worden sind. Noch mehr: er für seine Person hatte
die schöne Naivität, der, wie ohne Anstrengung, neue
Formen gelingen. Nur stand diese kernige Naivität im
Dienste einer Kunstidee, die ihrem ganzen Wesen nach
nicht naiv sein kann. Das sind die beiden Seiten der
Kunst Hodlers.

In einer merkwürdigen Weise gehen in seiner
Kunst Natürlichkeit und Künstlichkeit, Systematik und
Anschauungskraft durcheinander. Ebenso seltsam stehen
in seiner Kunst nebeneinander eine gewisse Brutalität
und ein zartes Artistentum. Man erkennt in Einzelheiten
viel präraffaelitisch Zartes. Es ist in den gotisierenden
Falten der Gewänder und im ornamentalen Strich
mancher Zeichnung. Einige Details weisen sogar
ein wenig zu dem süsslichen Wiener Klimt hinüber.
Man spürt eine gewisse Koketterie im Handschrift-
lichen, eine Neigung die Starrheit der Kartonformen
arabeskenhaft zu kräuseln und mit der Linie zu spielen,
man spürt eine Vorliebe für das preziös Gekünstelte.
In diesem Punkte berührt sich Hodler mit vielen seiner
malenden Landsleute, die auch dem ersten Blick fast rauh
erscheinen, die im Grunde ihres Wesens aber mehr fein
als stark sind, deren Kunst immer ein wenig aussieht,
als wälze sie das Problem: wie werde ich energisch?
und die mehr aus Not denn aus Reichtum Stilisten sind.
Amiet und Welti, Buri, Huber und alle die andern
schliessen sich in derselben Stilidee zusammen. Diese
Stilidee ist ihr Schicksal, sie können ihr scheinbar nicht
entfliehen. Sie benutzen, höchst bezeichnender Weise,
gewisse Darstellungsformen des Neo-Impressionismus.

Sie malen wie Divisionisten, in einer naturfernen, bun-
ten und doch farblosen Manier, weil sie alle-im Grunde
Kartonkünstler sind, weil sie programmatisch — Hodler
an ihrer Spitze — etwas Heroisches darstellen wollen
und, da die Zeiten diesem Wollen praktische Wider-
stände entgegensetzt, in eine neue Art von kalter
Romantik geraten. Diese Geistesstimmung ist es auch,
was Hodler und die Seinen mit Böcklin verbindet.
Böcklin malte ganz anders und auch etwas anderes.
Er stilisierte seine märchenhaften, symbolistisch poe-
tischen Einfälle mit Hilfe der Antike, mit Hilfe Tizians
und Raffaels, er war, man möchte sagen, ein Nach-
raffaelit. Und er war daneben ein genau ausführender,
illusionistisch malender Naturalist. Bei Künstlern, in
deren Werken die Form aus zweiter Hand ist, die von
der Idee ausgehen und die Kunstmittel der Zeit und der
Vergangenheit benutzen, wie ihr Programm es will,
»sind die äusseren „Stil"unterschiede immer sehr gross.
Trotzdem sind Böcklin und Hodler einander verwandt,
sie begegnen sich eng in ihrer Nationalität. Böcklin
war reicher und menschlich voller als Natur, Hodler
ist strenger und einsichtsvoller als formender Künstler;
beide bewegen ihre Zeit durch eine stilisierende
Programmkunst. Auch Segantini gehört in diesen Kreis,
er, der zum Teil von Mület, zum Teil von dem Eng-
länder Watts und auch vom Naturalismus herkam und
der sich eine eigene Technik schuf. Und man mag
schliesslich an Puvis de Chavannes denken, an dessen
Darstellungsstil gewisse Frühwerke Hodlers — zum
Beispiel der „Dialogue intime" — so unmittelbar den-
ken lassen. Auch die blassen, kultivierten, klassi-
zistischen Wandmalereien dieses edlen Franzosen ge-
hören, wie die Werke Hodlers, jener modernen Gattung
an, die man Kulturkunst nennen könnte. Vor allen
Werken dieser Kunst kann man dasselbe anmerken, so
verschieden sie auch im Grad, im Wert, in der Fähig-
keit der Realisierung sind: Kultur lässt sich nicht wol-
len, nicht absichtsvoll machen; sie wächst entweder von
selbst, als die Summe vieler, unberechenbarer und un-
leitbarer Kräfte, oder sie wächst überhaupt nicht. Das
Verdikt, ganz allgemein gesprochen, lautet also: höchst
edel, aber nicht im Ganzen, nur in Teilen organisch.
Dieser Ausspruch gilt ebenfalls von der Kunst Hodlers,
so sehr auch zu betonen ist, dass er unter den germa-
nischen Abstraktionisten eine der ursprünglichsten
Persönlichkeiten, einer der reinsten Künstler und eines
der grössten Talente war. So sehr er als Künstler ein
bergartiger Mensch war.

Diese Worte mögen für heute genügen. In einem
der nächsten Hefte wird noch einmal von einem Ver-
ehrer Hodlers der Versuch unternommen werden, die
Summe dieses merkwürdigen Lebens zu ziehen. Aber
auch das wird dann nicht das letzte Wort sein. Auf
lange Zeit hinaus wird diese Gestalt noch durch unser
Kunstleben gehen und immer aufs neue zu Auseinander-
setzungen auffordern.

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