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(WL Besuche bei berühmten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen.

^ch vermochte meine Ungeduld nicht länger zu zügeln, den Mann zu
sehen, dessen vortreffliche Leistungen im Munde aller unserer Krieger nicht
nur leben, senden» auch enden. Ich meine Grüncberg. den Erfinder
und Gestalter der Erbswurst. Wie bei »»reine»» früheren Besuchen bei
Moltke. General von Goeben. General von der Tann, Louis Na-
poleon u. s. »v. u. s. w., schnürte »nir der Gedanke, vor einen Mann des
Iahrh»u»der1ö zu treten, das Herz und mein Bündel zusammen, und ich
»»»»ternahm die Reise. Tahin sauste der Zug nach der neuen Kaiserstadt
Berlin — »um im Europäischen Bunde bereits die vierte. Ich stieg im
Thier garten-Hotel ab. da Grünebergs Atelier zwischen den» Birken-
waldchen und der Villa von der Heydt liegt, nahm rasch eine Tasse
Bouillon und ein Sedan-Beefsteak mit Ei - Ei — wie habe ich es
später bedauert! — und fuhr nach der Kunstwerkstatt. Der Tust
der Deilchengarten von Biledulgerid kündet schon st»»ndenweit den»
nahenden Reisenden das Paradies der Erde an, und bereits an» Eis bock in
der Potsdamer Straße empfand ich ein tiefes Bedauern in der lieber-
eilung, gesrühstückt zu haben. „Jeder Paff einen Sechser!" —
pflegt man gewöhnlich beim Rauchen von seinen Liebes Cigarren zu äußern,
und: „Zeder Athemzug, jeder Luftschnapp einen Dreier Wurst!" —
fomitc man mit Recht in dieser von den kräftigsten Fleisch-Extracten
geschwängerten Erbswurst-Atinosphäre ausrufen. Und wie sahen auch die
Menschen aus, die hier in dieser Luft lebten! Ich traf einen frisch, frei,
fröhlichen Reiter auf »»»ilitärfroinnien» Schimmel, der »nich freundlich zuerst
grüßte.' „Warun» so heiter in ernster Zeit?" — fragte ich ihn. „Ich
habe gestern meine diamantene Hochzeit gefeiert" — sagte der rüstige
Greis, und zeigte »nir sä»n»»»tliche Zähne, die noch gut erhalten waren, ob-
gleich der Armee-Veteran — de»»»» ein solcher war er — wohl »»»ehr
als 227Jahre zählte. Ein täglicher zweistündiger Nittum dieErbS-
wurstfabrik hatte ihn» diese hohe Lebens Zähigkeit nebst anderen
Auszeichnungen verliehen.

AlS ich in die Genthiner Straße einbog, begegneten mir Schaaren
von Da»ncn in auffallender Toilette. Es waren Mitglieder des weib-
lichen Chors der verschiedenen Berliner Theater, deren hohes Lebens-
alter ja sprichwörtlich geworden. Auch ihre Erhaltung verdankte die Kunst
te»u Erbswurst-Ozon GrüuebergS. Wie klopfte daher »nein Herz, als
ich »»»»»» endlich den» Manne gegenüberftand, von dem das ganze Fett
dieser Glanzepoche auSgeht! Ang' in Auge — »ras sage ich? — An ge
in tausend Augen — denn so viel schwammen jgewiß in der kräftigen
ErbSsuppe, die er mit hochgeschwnngenem Löffel im Kessel rührte —stand
ich ihm nun gcge»»über.

„Was wünschen Sie?" — fragte er »nich freundlich.

Ich näherte »nich ihm »»icht ohne Befangenheit auf Wurst länge »u»d
reichte ihin »»»eine Karte.

„Schon gut" — sagte er — „Sie wollen Därme verkaufen?"

„Es irrt der Mensch, so lang' er strebt" — citirte ich. „Ich
habe nichts zu veräußern, als die Bewunderung für einen Mann, den
ich den „Faust der Pelle" nennen möchte."

„Was wollen Sie damit sagen?" — fragte sehr ernst Herr Grüneberg.

„Daß Sie der Johannes Gutenberg, genannt Gensfleisch"-

Von Dr. Cohn-Melö jnn.
Dreiunddreitzig Minuten Gei griineGerg.
-oOo-

„Von Gänsefleisch" — unterbrach er »nich — „»nachen die Juden
ihre G ä n se h a l s »v»"»r st e."

„Daß Sie" — fuhr ich fort — „daß Sie der Eolumbus der gelbe»:
Erbse i»u Kampfe mit der blauen Bohne sind."

Herr Grüneberg lächelte. Ich hatte die Gelegenheit beim richtigen
Wurstzipfel ergriffen.

Es war der günstige Moment, den ich bei Moltke. Goeben, Tann,
Napoleon erlebt, auf der Bildfläche erschienen.

Ich hatte das Räthselwort getroffen, womit man das Buch st ab e»»-
schl oß öffnet, welches das Innere aller bede»»tenden Menschen verschlossen hält.

„Was war einst Niquet in der Iägerstraße?" — fuhr ich fort. „Wer
hat »licht seine „Frankfurter" gegessen?"

Und jetzt!?

„Ein Windstoß nur ist Erdenruhm, er rauscht
Bald da. bald dort, um schleunig zu verhalle»»,

Indem er Zeit und Rainen stets vertauscht."

„Und wo»»»it kann ich dienen?" — fragte Grüneberg, den die
Erinnerung an eine ferne Zukunft, »vo einst von allen Erbswürsten vielleicht
nur »»och ein Schillergitter übrig sein wird, wchniüthig gestimmt zu
haben schien.

„Tie Stätte will ich sehen, auf der Frankreich geschlagen,
die Lateinische Race vertilgt wird; die Stätte, die das geflügelte
Wort erzeugt, welches unsere Krieger täglich wiederholen muffen: „Wurst,
wieder Wurst!"

Er wies »»ach rechts — da lag Eine! — Eben vollendet, jungfräulich
wie ans der Spritze hervorgegangen! Klein, kurz und dick, in »üppiger Fülle
strotzend, eben abgeschnitten — noch hing der Bindfaden daran.

„Wie sie kurz angebunden »var,

Das »var nun zum Entzücken gar!"-

„Das ist sie!" — rief ich. „Das Jahrhundert »vird keine
Zweite sehen! TaS ist die Wurst der Zukunft! Tie Sphinxk
Ter Richard Wagner im Tarn»! Tie bacchantische Umschlingung der
drei Nat»»rreiche! TaS Pflanzenwurstthier! Tie Thiermurstpflanze!
Ter Wurftbrillaut! Tie Brillant»vurst!"

„Sie entschuldigen" — sagte Grüneberg — „»»»eine Zeit ist gemessen."

„Nur noch ein Wort!" — rief ich. „Was halten Sie von dc»n Wurst-
gift der Zukunft?"

Er schüttelte das Haupt wie Einer, der den Andern für verrückt hält.
„So haben Sie »licht gelesen, daß im akademischen Lesecirkel in
Königsberg Dr. Mauren b rech er den Antrag gestellt, die „Zukunft"
nicht weiter zu halten, da sie die j»»ngen Le»»te vergifte?"

„Es gibt kein Wurstgift" — sagte Grüneberg. „Tie Krank-
heit, als deren Ursache man früher ein in genossenen Würsten entstandenes
Gift ansah. war Trichinen-Erkrankung."

„Aha, Trichinen! Schöne Eavallerie-Gefechte!" — »rollte ich
sagen.

Er öffnete »nir die Th»'»r. Tie Audienz bei Grüneberg »rar zu Ende.
Sie hatte nur dreiunddreißig Minuten geda»»crt. Aber ich roch »»och
den ganzen Tag nach ihr.

Kladderadatsch.

G@ Om 31tont (Cenis, g

Um Weihnachtstag zun» ersten Mal vernahmen
Die Werkleut'. schaffend in des Berges Tiefen,
Schläge des Hammers, welche näher kamen.

Und Menschenstimmen, die ausm»u»ter»»d riefen.

Die letzte Scheidewand wich kräft'gen

Schläge»»,

Schon flocht sich Hand in Hand, die Kette schließend
Des Lebens, das sich athmend kam entgegen
In Berges Schooß, nun freudig sich begrüßend.

Beleuchtet von der Grubenlichter Scheine,
Andächtig schauernd gegenüber standen,

Tie d»»rch des ungeheuren Bergs Gesteine
Einander suchten, da sie »um sich fanden.

Ta standen sie. das Herz erregt von scheuer,

Fast banger Freude, doch mit festem Fuße;

Kein A»»g' des Himmels sah die stille Feier,

Nicht So»»»»', »»icht Mond, nicht Stern schien diesem

Gruße.

Tie Wüste hat. das Meer, das wild dnrchstürmte.
Doch über sich die Sterne. Gottes Leuchten;

Hier standen sie, »vo über ihnen thürinte
Sich das Ge birg', in» n i e v o in L i ch 1 E rr e i cht e»».

O daß der Hiininel seinen Segen sende
Ten» Werk, das Menschengeist ersaiu», der kühne,
Ansführend es d»»rch fleiß'ge Menschenhände —
Und daß des Friedens Wert dem Frieden

diene!

Ter

Berichterstatter der Frankfurter Zeitung. Herr Voget, welcher
mittels Zwangspasses a»»s den» Hculptquartier des Großherzvgs von
Mecklenburg »»ach Frankfurt dirigirt »vorbei» ist. spricht sich sehr entzückt
über die gegen ihn verhängte humane Maßregel ans. M hatte gefürchtet, daß
mau ihn nicht nach Frankf»»rt, sondern nach — Mecklenburg verweise»» würde.

Lin Tropfen demokratischen Detes

»vird dringend gesucht i»nd mit dem höchsten Preise bezahlt. Gefällige
Offerten zu richten an —

L. Uhland, Elysium, links.
 
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