Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kladderadatsch: Humoristisch-satirisches Wochenblatt — 26.1873

DOI issue:
Hefte 35-40, August 1873
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2255#0388
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
138

' '4 r Der diri»; - '

Z l l u st r i r t e Hnndstags-Ieitung.

HVo. 5.

n„, Nummern feile» ,,» tiefem Blatt etfebeinen. Vier taten fint ziemlich sicherl ton der fünften aber ift es jroeifeltaft, eb sie noch berauikemmen Wirt

Wir geben fle teßbalb znerft.

Unser Leitartikel ist ausgeblieben. Wir erwarteten ihn mit der
gestrigen Abendpost, aber er kam nicht. Wie gewöhnlich entgleiste
der Zug, und gerade der Lowry, aus dem unser Leitartikel sich befand,
wurde ju Atomen zerschmettert. So telcgraphirte uns wenigstens in der
vergangenen Nacht unser im Bade weilender Lcitartikelschreiber, und da
er noch nicht oft gesessen hat, so sehen wir in seinen Anteccdentien keinen
Grund, ihm zu mißtrauen. Die Folge davon ist, daß wir es diesmal
unseren geehrten Lesern überlassen müssen, sich selbst einen älteren Stoff,
z. B. die sociale Frage, die Unfehlbarkeit oder die Zukunft der
Türkei, vorzunehmen und denselben entweder an der Hand älterer Leit-
artikel der Vossischen Zeitung oder auch ganz selbstständig in den
Nachmittagestunden zwischen zwei und vier Uhr noch einmal recht tüchtig
durchzudenken.

Astrachan. Wie hiesige Blätter berichten, ist in Amerika (Staat
Illinois) wieder ein Mann im Alter von 108 Jahren verstorben.
Noch am Tage seines Todes besorgte er mit Ruhe und Präcision seine
Feldarbeiten.

Müffen es denn immer Ackerbauer sein, die ein so hohes Alter
erreichend Niemals steht in den Blattern: Heut starb im Alter von
117^ der alte Cohn. Bis an sein Ende blieb er rüstig und hell, und
noch zehn Minuten vor seinem Tode sah man ihn einen großen Posten
Tempelhofer Bauverein mit Ersvlg an den Mann bringen.

Rom. Der heilige Vater befindet sich seit kurzer Zeit in sehr
übler Stimmung, weil er plötzlich die Entdeckung gemacht hat, daß er
durch und durch — verflucht ist. Ihm fiel in diesen Tagen ein Breve
seines unfehlbaren Vorgängers Clemens XIV in die Hände, in
welchem dieser leutselige Herr nicht nur den Jesuitenorden aufhebt,
sondern auch über Jeden seiner Nachsolger, der etwa die Jesuiten
wieder dulden sollte, die große Ercvinmunication verhängt. Warum —
sagte der heilige Vater, sich mit dem Schriftstück vorwurssvoll zu seiner
Umgebung wendend — warum habt ihr mir das nicht ftüher mitgetheilt'i
Die Umgebung zuckte nach Schranzenart bedauernd die Achseln.

Bad X. So eben hat sich Hierselbst ein wirklicher König in Hcmd-
ürmeln von einem durchreisenden Augenblicksphotographen abnehmen
lasten. Rechnet inan dazu die beiden Herzöge, welche neulich in
ungebleichter Leincwand einem Conccrt beiwohnten, und den erb-
lichen Fürsten, der einen Dienftmann um Feuer bat. so kommt man
unwillkürlich zu dem angenehmen Resultat, daß der Unterschied der
Stände sich immer mehr verwischt.

Clericales Frankreich. Es gibt keine» frivoleren Mensche» als de»
Engländer; ihm ist alles Sport. So ist denn eben ein Englischer
Club hier «ingctroffen, der sich lediglich zu dem Zweck gebildet hat, in
Frankreich spukende Heilige von den Lbstbäumen herunteizu-
schießen. Abscheulich! Aber helfe» wird es.

Eremitage Barzin. Es wird nur wenigen Bismarcks logen bekannt
fein, daß der berühmte Mann, der nun doch einmal die Presse nicht
miste» kann, sich in seiner Zurückgezogenheit täglich sei» eigenes Blatt
schreibt. Es heißt „Der Kohlkopf" und handelt bunt durcheinander
von Wirsing und Windthorst, von Grünkohl und Rothbuch, von
Ober-, Unter- und wirklichem geheimen Kohlrabi, von Wagener und
Wruke — kurz von Allem, waS Staat und Gemüse betrifft. Das Blatt
wird in nur einem Exemplar ausgegeben, und dieses eine Exemplar
wird gegen Abend stet« wieder eingestampst. O seltsame Launen der
großen Männer!

München. Täglich erhält Adele Beileidsschreiben aus aller Welt.
Wie man unter der Hand vernimmt, werden Vertreter sämintlicher großer
Gründerfirmen der Europäischen Börse» seiner Zeit an Ort und
Stelle sein, um ihr bis zuin Thore des Zuchthauses ein solennes Geleit
zu geben.

Velsort. Er hat noch eine andere Rede gehalten. Es war die in
welcher er einem Maire gegenüber de» großherzigen Entschluß kund-
gab. die schon cingczahlten fünf Milliarden wieder zurückzugeben
Als er aber in die Tasche griff, da fand fich's, daß der großm-üthige
Siebenfuß nicht so viel bei sich hatte.

Grönland. (Telegraphische Depesche.) Unsere Eisvorräthe nehmen
noch immer nicht ab. Wir theilen diese Depesche lediglich für die-
jenigen unserer Leser mit, welche um die Mittagsstunde die Friedrichs,
straße oder die Lüneburger Haide zu passiren haben.

Cartagena. Das große Räthsel hat fick, gelüst. Die .Vigilante'
war einfach eine Berliner Actiengesellschaft, die, nachdem auch
Bergwerke ausgespielt haben, ihr Glück aus der Spanischen See «er-
suchte. Sollte Capitän Werner etwa erst eine Untersuchungs-Com-
mission einsetzcn?

Assyrische Original-Corresponden,.

< Wer, wie ich, aus dem Kreise Vom st stammt, für den ist dieses
Klima iin Ganzen nicht erfreulich. Es ist trocken und heiß, und bei
alledem sind die Nächte mitunter kühler als man sich vorsteltt. Ich weiß
nicht, weßhalb Sie mich gerade auf diesen Punck geschickt haben, um
Ihnen Feuilletons zu schreiben. Hier passitt absolut nichts, und die
Zeitungen kommen spät und unregelmäßig an. AuS Langerweile versuchte
ich cs mit Ausgrabungen, fand aber zum Glück weiter nichts als
fünf Kruken Weißbier, die mit großem Verständniß in den Sand
gebuddelt waren. Ich schließe daraus, daß ein Berliner Kind vor mir
hier gewesen und verunglückt ist; andernfalls hätte er das Bier doch
auSgetrunken. Gestern sah ich eine Fata Morgana. Es war die mir
so wohlbekannte Stadt Meseritz, aber Alles auf dem Kopf und in
umgekehrter Reihenfolge. Villenbauterrain ist hier noch in Masten;
aber bei den heutigen und kiesigen Coursen sind drei Quadratmcilen
noch nicht eine Bratwurst werth. Alle« wie in Berlin.

Illustrationen.

Und nun muß es uns auch noch passiren, daß die Holzstöcke platze«!

Wir nahmen daher die beifol- l,
gende Illustration, wo wir sie -
fanden, und ersuchten eine de- -
währte Kraft, uns dazu eine"
historischen Artikel übet8at*e.
läiize zu schreiben. Rach jj** 1
Stunden peinliche» Lasten
schickte uns der sonst so vü»st'
liche Autor einen Artikel, welcher
überschrieben war: „Die letzten Augenblicke der Kaiserin Eugenie,

Wir konnten diesen Artikel natürlich nicht verwenden. Entschiede» #a
der Verfasser sich nicht nur überhaupt vergriffen, sondern er hat " ’
seiner Beschämung müssen wir es sagen — au» feinem Pult einen Ani 9
gegriffen, der auf Vorrath gearbeitet und augenblicklich noch verfrüht > -
In dieser peinlichen Lage müssen wir de» nachsichtigen Leser bitten. >>
mit der bloßen Illustration zu begnügen »nd sich, so gut es gehen w> - i

seine Gedanken darüber zu machen. Wir nehme» von ihm Abschied" I

dem Geständnis, daß in dieser heißen Zeit aus Niemanden Verlaß »- |

und daß auch wir gegen Sommersprossen kein Mittel habe».

Die Redaction.
 
Annotationen