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Lob des Engländers.

Der Engländer ist doch ein zu prächtiger Mensch!
Selbst wenn er unsere Gastfreundschaft benutzt, um uns
auszuspionieren, bleibt er dabei ein Gentleman vom Scheitel
bis zur Sohle. Mit liebenswürdigem Humor zieht er seinen
„Marine-Bädeker", zeichnet allerliebste kleine Skizzen hinein
und telegraphiert nette Anekdoten nach Haus. Und sollte
er uns auch einmal hinterrücks überfallen und abmurksen
wollen7-^ matt kann ihm -darum doch'nicht gram sein!
Wer mochte nicht gern mit Mr. Brandon Seehunde schießen
oder mit Mr. Tr euch die alte Kirche von Wangeroog be-
sichtigen? Sie sind ebenso angenehme Gesellschafter wie
tadellose Angeklagte. — Überhaupt „spionieren", welch
plumper Ausdruck! Man treibt Entdeckungssport, man spielt
einen „Fußballmatch" mit den deutschen Kameraden, wobei
ein bißchen Mogeln zu den Spielregeln gehört, und schließlich
geht man auf die Festung und lebt wie — ein Bonner
Borufse. ttonn^ soit!

Trost für den Trinker

Zwar 1910 bracht' keinen Wein,

Der Sorgen wegräumt, Traurigen ein Helfer,

Doch wollen, drum wir nicht verzagen, nein!

Das neue Jahr ja bringt uns einen Elfer. i. tr.

fr. Es ist ein Vergnügen zu sehen, wie unsere Negierung
das Wohl des Handels und der Industrie mit allen Mitteln
befördert. An der Spitze der Freunde des kaufmännischen
Aufschwungs steht natürlich der Staatssekretär des Verkehrs,
der Chef des Postwefens, Krätke, den man mit Unrecht als
einen Anhänger fiskalischer Engherzigkeit tadelt. Er hat
erst jetzt wieder eine Tat vollbracht, von der noch die
spätesten Enkel erzählen werden, eine Tat, durch die er den
Verkehr von den drückenden Fesseln befreit hat, die ihn seit
Jahrzehnten einengten. Jawohl, er hat die alte Verfügung
aufgehoben, nach der dreiteilige Drucksachen am oberen
Rande der Aufschristseite mit den übrigen Seiten Zusammen-
hängen müssen.

Von der Aufhebung dieser Verfügung datiert eine
neue Epoche in der Geschichte des deutschen Vaterlandes.
Wahrlich, es ist eine Lust zu leben!

xv. Die hessischen Lehrer Kunz und Fries haben die ihnen
am Geburtstage des Eroßherzogs verliehenen Orden ab-
gelehnt, weil Kollegen von ihnen höhere Orden erhallen
haben. Auf ihre Vorstellung beim Schulminister Süffert
erklärte dieser, die Ablehnung sei eine Beleidigung des
Großherzogs, wegen deren sie belangt werden müßten.
Inzwischen sind die Lehrer veranlaßt worden, die Gründe
ihrer Weigerung zu Protokoll zu geben. Das ist alles
ganz schön und gut. Aber warum macht man so viel Auf-
hebens von der Sache und nicht lieber kurzen Prozeß mit
den Lehrern? Sie verdienen die schärfste Strafe. Mit
Enthebung von ihrem Amte ist es nicht getan, auch nicht
mit Gefängnis. Denn was verdient ein Mensch, der einen
Großherzög beleidigt, wenn einer ein Jahr kriegt, der
einem Landrat auf die höchsten.Hühneraugen tritt? Da
erscheint selbst Zuchthaus, als lächerliche Sühne. Soll man
sie köpfen? Das ließe sich hören, würde aber doch vielleicht
einiges unliebsame Aussehen machen. Nein, man verhänge
über sie eine nicht minder schwere, aber weniger blutige Strafe.
Die Sache mit den höheren Orden ist natürlich Ausrede.
Man verleihe diesen beiden Kapitalverbrechern also sämt-
liche hessische Orden und zwinge, sie, diese Orden stets,
auch des Nachts im Bett, zu tragen, wenn irgend möglich
auch noch einige andere. Noch mehr würde es vielleicht
wirken', wenn man die beiden Rebellen umgekehrt einem
Orden verleihen würde, vielleicht dem der Jesuiten. Diese
beiden Kerle sind' ja anscheinend schon von Natur „ver-
buchte Jesüwiter".

Das Kaiserhoch in der Hermannsschlacht

m. br. Tausende von gut national gesinnten Berlinern blickten
gespannt auf den Ausgang des fürchterlichen Germanen- und
Römerkampfes, der sich vor ihren Augen mit absoluter
historischer Genauigkeit in den llrwaldsümpfen des Zirkus
Busch abspielte: Mit furchtbarem Kriegsgeheul und

schmetternder Regimentsmusik stürzten sich die Cherusker auf
die Legionen des Varus, die heldenmütigen Widerstand
leisteten. Doch schon wankten die hiebgewohnten Adler des
römischen Imperators und schienen dem Ansturm Hermanns
erliegen zu wollen. Ouintilius Varus blickte verzweifelt
auf seinen fürchterlichen Gegner. — alles schien verloren!
Da im Augenblick der höchsten Gefahr erinnerte sich der
gefährdete Feldherr eines famosen Tricks, den der vr. Henrici
kürzlich mit Erfolg in Leipzig benutzte, um sich vor den
wütenden Studenten zu retten. Er trat entschlossen in die
Mitte der Manege, erhob seinen goldenen Feldherrnstab
und rief mit mächtiger, von Patriotismus bewegter und
bis zu den höchsten Höhen der Galerie dröhnender Stimme:
„Seine allergnädigste Majestät, der römische Kaiser Augustus,
er lebe hoch! — hoch! — hoch!" Die alten, biedern, gut
monarchisch gesinnten Cherusker stutzten, und der schlaue
Ouintilius Varus benutzte diesen günstigen Moment, um
sich durch eine Hintertüre auf die Vörsenstraße hinauszu-
retten. So hatte die Weltgeschichte durch eine Finte ä la
Dr. Henrici eine unprogrammäßige Wendung genommen!

v. Die „Germania" behauptet, es sei „ein großer histo-
rischer Moment" gewesen, als im Dezember 1874 der Graf
Vallestrem im Reichstag dem Fürsten Bismarck sein „Pfui"
entgegenschleuderte, weit dieser den Attentäter Kullmann
dem Zentrum an die Nockschöße zu hängen suchte. Wir
gehen noch weiter. Wir nennen diese Szene den größten
historischen Moment im Leben nicht bloß des Grafen
Ballestrem, nicht bloß des Fürsten Bismarck, sondern
überhaupt des ganzen deutschen Volkes. Denn was
kann mehr für die Bedeutung eines Mannes zeugen,
als die Tatsache, daß seine Gegner jahrzehntelang von
Stolz übersließen, weil einer der ihren ihm gegenüber ein-
mal ein Pfui riskiert hat! Zur Entschuldigung des Fürsten
Bismarck möchten wir nur noch anführen, daß er selbst ja
sozusagen die gesunde Vernunft verkörperte, auf die ja ge-
wisse Leute so gern und oft Attentate verüben. So war sein
Irrtum wohl begreiflich. Übrigens schlagen wir dem Zentrum
vor, sich in Erinnerung an den großen historischen Moment
„die Pfuipartei" zu nennen. „Pfui" ist ja auch Roerens
Feldgeschrei.

Nach dem Mieltschiner Prozeh
Chor der Richter:

Hätten wir
statt der
erziehung

getan, dem Angeklagten Breilhaupt
Gefängnis drei Tage ' Fürsorge-
allen Schikanen aufzubrummen?
 
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