Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
s\S

Wahrheit und

In der Gesellschaft für deutsche Literatur ist neulich
mit großem Scharfsinn die Frage erörtert worden: War
Goethe kurzsichtig?

Wir wollen in dieser schwierigen Frage kein Urteil
fällen, muffen aber bemerken, daß Goethe kurzsichtig genug
war, Kleists Talent zu »erkennen. Auf eine Sehstörung
deutet auch sein Wort hin: „Du siehst mit diesem Trank im
Leibe bald Helenen in jedem Weibe." Auffallend ist ferner
folgende Erscheinung: „Die Augen gingen ihm über, so oft
er trank daraus/' dies läßt auf eine krankhafte Absonderung
aus den Tränendrüsen schließen, die schließlich nicht ohne
Einfluß auf Goethes Sehvermögen geblieben sein mag.
Andererseits spricht aber sein Wort: „Wo viel Licht ist, ist
starker Schatten" für ein gut entwickeltes Sehvermögen-

Wen» nun auch Klarheit über Goethes Sehschärfe für
jeden Goctheverehrer sehr intereffant ist, so gibt es doch
noch viel wichtigere Punkte in dem Dasein des Dichters, die
der Aufklärung bedürfen. Was ist für den Dichter wich-
tiger als seine Stimmung? Sein ganzes Schaffen wird
verschieden beurteilt werden müssen, je nachdem er das
Opfer trüber Depressionen war oder sich in gehobener
Stimmung befand, in der dem Geiste Schwingen wachsen.
Auf diese seelischen Stimmungen sind aber gewiffe körperliche

Ein Jnstruktionsoffizier unterrichtete einst die Rekruten
in dem Gebrauch des Gewehrs, im Laden, Zielen usw. Da
die Leute sich sehr dumm anstellten, so rief er einen
älteren Einjährigen zu Hilfe: „Nehmen Sie sich mal die
Kerle vor: diese Kunden sind zu dämlich. Sie müffen ihnen

Dichtung über Goethe

Zustände von großem Einfluß: und deshalb halten wir es
für das wichtigste, endlich aufzuklären: „Wie war Goethes
Verdauung?"

Für eine gute Verdauung ist es sehr wichtig, daß die
Speisen alle gut gekaut werden: dies ist aber nur dann
möglich, wenn die Zähne gut gepflegt sind. Deshalb wäre
ein Vortrag über das folgende Thema höchst intereffant:
„Hatte Goethe gesunde Zähne? Befanden sich etwaige
schlechte Zähne in guter ärztlicher Behandlung? Wie oft
und womit spülte Goethe seinen Dichtermund?"

Die nächsten Untersuchungen müßten dann den Fragen
gelten: „Wie oft schnitt Goethe seine Nägel? Wie oft ließ
er sich die Haare kürzen?"

Die allerwichtigste, aber freilich auch die schwierigste
Frage ist die folgende: „Hatte Goethe Hühneraugen?
Eventl. wieviel? An welchem Fuße? Von welcher Aus-
dehnung? Rollte des Dichters Hühnerauge in schönem
Wahnsinn?" Wir wissen aus vielfachen biographischen
Studien, wer und was ihm ein Dorn im Auge war, aber
wir wissen noch nicht, ob und was ihm ein Auge im

Darum auf, ihr Koetheforfcher! Forscht immer forscher!

alles genau zeigen und ihnen helfen; Sie müffen sie
bedienen, als wenn Sie ihr Putzer wären." — „Zu Befehl,
Herr Leutnant," erwiderte der Einjährige. „Aber werde
ich noch Reserveoffizier werden, wenn ich die Kunden im
Laden bediene?"
 
Annotationen