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Kladderadatsch — 81.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.2308#0284
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Nicht vergebens hatte Streseniann im
Schöneberger Rathaussaal die beherzi-
genswerten, mahnenden Worte g esprochen:
„Meine Herren aller Parteien, ich be-
schwöre Sie: Wahren Sie im bevor-
stehenden Wahlkampfe die Objektivität!
Achten Sie auch im politischen Gegner
den Volksgenossen, damit dem Wahl-
kampfe das Gift der böswilligen Her-
absetzung und Verleumdung genommen
werde!"

Diese Worte hatten köstliche, goldene
Früchte getragen.

Der Erste, dem's gewaltig in die Seele
und das Gewissen fuhr, war Adolf
Hoffman»!

„Justav hat schon janz recht," meinte
er nachdenklich; „bet muß uffhören mit
den ewigen Stunk und Radau!" Und
dann schlug er sich voller Reue dröhnend
an die zottige Männerbrust und schwur

Das Frühsingswunder 1928

bei allem, was ihm heilig, den Wahl-
kampf in Zukunft, getreu der Strese-
mannschen Mahnung, milde, sachlich und
mitzarterSchonungdcsGegnerszu führen.
Und überall die gleichen hocherfreulichen
Erscheinungen! Besonders ernst nahm
man es in den Redaktionen des „Vor-
wärts" und der „Roten Fahne". Dort
verbrannte man, im heiligen Eifer, den
Wahlkamps nur objektiv zu führen, wahre
RiesenstapelvonAgitationsschriften, deren
ätzende, giftige Schärfe mit der neuen
Forderung des Tages nicht in Einklang
zu bringen war. An Stelle der auf-
hetzenden. Plakatinschriften aber wurde,
auf gemeinschaftlichen Beschluß aller
Parteien, nur folgender Spruch geduldet:
„Wir wollen uns anständig und nett
benehmen;

Und jeder Radaubruder soll sich schämen!"

Die erste Wahlversammlung, der ich
beiwohnte, und in der eine Auseinander-
setzung zwischen der S. P. D. und K. P. D.
stattfand, zeigte einen der Verabredung
durchaus würdigen Verlaus. Die schmei-
chelhaftestenFloskeln und Redewendungen,
wie: „Ihr seid die grundanständigsten
Kerle" und „es ist ein Vergnügen, mit
solchen Herren zu tun zu haben", flogen
herüber und hinüber. Als schließlich
der Vorrat der Schmeichelworte beiden
Parteien auszugehen begann und eine
Pause in der Debatte entstand, ertönte
plötzlich, die peinliche Stille unter-
brechend, eine wohlbekannte Stimme
durch den Saal: „Haut doch die Lausc-
jungs eens in die Schnauze!" Alles
atmete ans, der Bann war gebrochen,
beide Kandidaten verhauten sich jämmer-
lich unter dem Jubel der Zuhörer.

lCMMW,

Folgende uns zugcgangene Manuskripte werden unter Hinweis auf die am Ende des Briefkastens befindliche Mitteilung mit bestem Dank abgelehnl.
Berlin: N. N. — Güttingen: H. R. — Hannover: H. K. — Suhl: W. F. — Zerbst: Th. L.

Anklam. E. S.: In Nr. 73 der „Anklamer
Zeitung" lesen wir: „Demmin. Ihr 40jähr.
Berufsjubiläum begeht am 26. März Frau
Hebamme Bartels und am 27. März ihr
25jährig«s Frau Hebamme Stark vcrw. Keding.
— Ein tveitcres Sittlichkeitsverbrechen wurde
an der Bahnstrecke Utzcdcl—Zachariae an der
14jährigen Tochter des Oberweichenwärters
Marlow aus Zachariae von einem Wander-
burschen verübt." Nanu! Da werden die
Damen Bartels und Stark der Redaktion der
„Anklamer Zeitung" gehörig aufs Dach steigen.

Berlin, vr. C. H.: In Nr. 139 der
„Deutschen Allgemeinen Zeitung" wird über
die neuentdeckte Tropfsteinhöhle bei Plaue»
berichtet; unter anderm lesen wir: „Gleich
darauf bemerkten die Arbeiter ein größeres
Loch inmitten der Gesteinsmassen. Nachdem
sic links und rechts davon noch hervorstehende
Steinbrocken losgekockt hatten, standen sie vor
einem etwa «inen Meter breiten und vielleicht
zwei Meter hohen Eingang." Für die Be-
sitzer von Sprengstoffabrik-Aktien eröffnen sich
hier leider trübe Aussichten.

Bon» a. Rh. A. M.: Im ,/Kölner Tage-
blatt" (Nummer und Datum nicht erkennbar)
befindet sich die Abbildung einer Mißgeburt
in Belgien, eines Kindes mit 2 Köpfen. Dar-
unter stehen die Worte: „Ein Kind mit
2 Köpfen und 3 Armen wurde in Belgien ge-
boren. Die Doppel-Mißgeburt ist durch Bei-
schmelzung einer mehrfachen Keimanlage ent-
standen. Das Kind ist gesund. Dorpmüller
arbeitet rationell." — Ist dieser Torpmüller
etwa — der Vater? Dann verstehen wir das
Lob nicht recht.

Burgsteinsurt. M. A.: In Nr. 77 des
„Steinsurter Kreisblatts" lesen wir den Be-
richt über die „Abschlußprüfung an der land-
wirtschaftlichen Schule"; 'darin heißt cs:
„Herr Landwirtschastsrat Blcy nahm zunächst
das Gebiet der Chemie als Prüfungsthema
vor, wobei er vor allem auf die Zusammen-

setzung der Grundstoffe, vor allem des Wassers
einging. Die Formeln, die sich auf die ver-
schiedenen Arten beziehen, saßen fest in den
Köpfen der Schüler. Di« Zusammensetzung
des Wassers aus Sauerstoff und Stickstoff und
sonstige Fragen konnten glatt beantwortet
werden." Nanu! Der Herr Landwirtschaftsrat
Bley dürft« sich nicht schlecht wundern, wenn
er von seiner Analyse des Wassers hört.

Cannstatt b. Stuttgart. H. R.: In Nr.
75 der „Cannstatter Zeitung" wird über ein
,/Lisenbahnunglück in Amerika" berichtet; zum
Schlüsse heißt es: „Unter den 600 Insassen
des Zuges entstand eine Panik. Ein Teil der
Fahrgäste kletterte aus den Fenstern. Bei
einigen wurde dos Untergestell abgerissen."
In dieser Verbindung von einem — „Unter-
gestell" zu sprechen, finden wir einfach taktlos;
das zeugt von der Gemütsroheit der Bericht-
erstatter „Uncle Sams".

Dortmund. E. H.: In der „R.-W. Z." vom
4. April 1928 befindet sich ein Bericht über «in
„Restaurant unter der Erde" in Dortmund;
unter anderm lesen wir: „Auch der Dort-
munder Sänger ist gedacht, und zwar in der
Sängernische. Die Malerei ist hier teppich-
artig gehalten: auf der Plattform des Rei-
noldikirchturms schmettern mittelalterliche
Knurrende Sänger beim Schein von 3 gigan-
tischen Kerzenlichtern ihren cantus zum nächt-
lichen Himmel." Lieber als „knurrende
Sänger" find uns, osfengestanden, die —
Kurrendesänger.

Erfurt. P. A.: In Nr. 95 der „Thüringer
Allgemeinen Zeitung" lesen wir: „Amtliche
Bekanntmachungen. Nr. 1. Das Standesamt
ist am Karfreitag und zweiten Osterfeiertag
von 11—12 Uhr zur Entgegennahme von
Sterbefällen und Totgeburten geöffnet." Ver-
flixt! Die Stellung eines Erfurter Standes-
beamten muß keine besonders angenehme sein.

Frankfurt a. M. M. R.: Nr. 82 der „Breis-
gauer Zeitung" berichtet über einen Vorfall

bei der Paßkontrolle am Bahnhof Kehl; zum
Schlüsse heißt es: „Der Tote will Emil Kauf-
mann heißen und aus Smyrna stammen, doch
sind feine Angaben anscheinend falsch." Das
ist, den Umständen nach, sehr wahrscheinlich.

Freiburg i. Br. M. B.: In Nr. 54 der
„Freiburger Zeitung" lesen wir: Ein

Hühnerei von 110 Gramm legte uns Herr
v. Plate-Chausseehof aus den Tisch des
Hauses." Welch ein eigenartiges Huhn! Und
ausgerechnet auf den Redaktionstisch der „Frei
burger Zeitung"!

Gernsbach i. Baden, 1)r. M. Sch.: In
Nr. 86 des ,-Karlsruher Tageblatts" beginnt
ein Gesuch mit folgenden Worten: „Al?'

Mensch sucht 27j. sympath. Frau mit 6jähr.
Knaben bei ält. vornehm. Herrn Wirkungs-
kreis." Nanu! Als was denn sonst?!

Göttingen. H. O.: Im „Göttinger Tage-
blatt" vom 5. April 1928 lesen wir in bezug
auf das kommende Osterwetter einen längeren
meteorologischen Bericht; darin heißt es: „Der
Druck ist dort zwar kräftig gestiegen; aber auf
dem Ozean ist inzwischen eine neue Tiefdruck
familie ausgetaucht, die in nordöstlicher
Richtung zwischen Spitzbergen und Lappland
vovbeiziehen dürste." Ei verflucht, wenn die
„Minimums" und „Tiefdrücke" schon in
ganzen Familien auftreten — dann wird's
oberfaul.

Halle (Saale). H. H.: In der „Halleschcu
Zeitung" vom 28. März 1928 befindet sich ein
Artikel über den geplanten Atlantik-Flug des
Frhr. v. Hünefeld; darin heißt es: „Infolge-
dessen ist zu erwarten, daß Köhl und v. Hühn-
seid den Abzug des Atlantiks abwarten wer-
den." Gott fei Tank, die Herren sind nicht so
närrisch gewesen, auf den „Abzug des Atlan-
tiks" zu warten, sondern sind frisch drauf los
geflogen und — glücklich hinübcrgekonnnen.

Hannover. Dr. H. R.: In der „KönigS-
bcrger Allgemeinen Zeitung" vom 21. März

«weinige «n.eigen.Llnnabme Rudolf Möge, klnnonHii-lirvediti-
Dre-den, Sflflelborf, (Erfurt, ßrontfurt o. M.. j>aüe o. t ~ "

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on (Öv sämtliche Zeitungen Deutschland» und de» «Iu»lande» in Benin »V1
lamburg. Hannover, Karliruhe i. B.. Köln o. Rh., Leipzig. Magdeburg. Mc
na. Basel, Budapest. Bukarest, London. Mailand, New Port. Prag. Warschau,

Iv, Bielefeld. Bremen. Are»lau. ahemniy I. Sa.,
a^.nhestn. München. Nürnberg, Stuttgart, Wien,
 
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