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Kladderadatsch — 96.1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.2323#0306
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Sarkasmus

AM RANDE DES ALLTAGS

Shakespeare auf der Slraße

Am Tage nach dem großen Terrorangriff.
Die Stra'ßen sind gefüllt mit ergriffenen
Menschen vor Scherben und Hausratresten,
Brandruinen und Gebäudestümpfen. Aber
dann steht man abseits auf Straßen, die
ganz still liegen, scheinbar unberührt von
allem, doch wie gelähmt nach den Schreck-
nissen der Nacht. Der Zufall hat sie lau-
nisch-gnädig unbehelligt gelassen, daß
kaum eine Fensterscheibe zersprang.

Da liegt mitten auf dem Fahrdamm ein
kleines grünes Buch. Hat’s der Äurm die-
ser Nacht hierhergeschleudert oder ein
Habseligkeitenwägelchen verloren ? Ich hebe
es auf: es ist ein Band — Shakespeare!
Und ich blättere darin, sehe, daß viele
Stellen angestrichen sind, vom Besitzer
also offenbar mit viel Vertiefung und Liebe
wirklich besessen. Ein Name steht
nicht drin, ich kann den Band ihm daher
leider nicht zustellen.

Es spielt ein Fluidum von Ironie um das
Buch: seltsam, daß es gerade dieser Eng-
länder ist, der uns so wie der ganzen Welt

gehört und hier liegt, dessen Landsleute
nach Jahrhunderten so tief gesunken sind,
daß sie die Stätten friedlicher Menschen
zerfetzen, die seine Werke hüten, lesen, zu-
tiefst verstehen und am meisterhaftesten
spielen.

Ich schlage willkürlich auf und finde „Ham-
let“, letzte Szene:

„Heißt auf hoher Bühne
vor aller Augen zeigen diese Leichen
und laßt der Welt, die noch nicht weiß,
mich sagen,

wie alles dies geschah: so sollt ihr hören
von Taten, fleischlich, blutig, unnatürlich,
zufälligen Gerichten, blindem Mord.

Von Tode» durch Gewalt und List bewirkt
und Planen, die verfehlt zurückgefallen
auf der Erfinder Haupt!“

Diese Worte, so ganz anders gemeint als
sie mein Sinn auffaßt, stehen an diesem
Morgen plötzlich, wie für diesen Tag ge-
schrieben, mitten auf einer deutschen
Straße. Der Mund des großen Briten ruft
sie übers Meer von hier aus dem erbärm-
lichen kleinen fetten Nachfahr ins Ohr.

UNGEWOHNTER ANBLICK
„Ja, siehst du", sagte Uncle Sam zu
John Bull, „die IVeit wird sich daran
gewöhnen müssen, uns beide in Zukunft
eben anders zu sehen als bisher!" - und
da Jraß er sich auf dessen Kosten dick.

Begründete Bevorzugung
Der Liederkomponist Franz Abt war ein
Feinschmecker, besonders gern aß er
Gänsebraten. Als ihn während eines Ge-
sellschaftsessens seine Tischdame nach dem
Grund für diese Vorliebe fragte, lächelte
Abt: „Meine Verehrte, das hängt mit der
Musik zusammen. Die Gans hat zwei Flü-
gel, spielt aber erfreulicherweise nicht
darauf." k. t.

Zukünfte

Bei einer Pariser Wahrsagerin erschien ein
Mann, um sich seine Zukunft Voraussagen
zu lassen. Als es geschehen, betäubte er
die Alte mit Chloroform und verschwand
mit ihrer Kasse.

Dieses Ereignis gehörte augenscheinlich zu
der hier ja nicht in Betracht kommenden
Zukunft der Wahrsagerin. Andernfalls hätte
sie ihm diese fette Beute bestimmt — vor-
ausgesagt! v. b.

Gegenwirkung

Leuten, die unbefugt an verbotenen Stellen
rauchen, kann nach einer neuerlichen Ver-
ordnung die Raucherkarte entzogen werden.
Sie werden dann zwar nicht rauchen, aber
schäumen und dampfen. h. k.

Punkträuberinnen

Die Chikagoer Polizei griff nachts drei
Mädchen auf, die vollkommen nackt durch
die Straßen irrten. Bei der Vernehmung er-
gab sich glaubwürdig, daß die Mädchen von
einer weiblichen Räuberbande vollkommen
entkleidet worden sind.

Da Bekleidung auch in den USA. knapp ge-
worden ist, bleibt den Mädchen nichts weiter
übrig, als in einem Variete aufzutreten.

ANGEWANDTE ZITATE

Onkel Theobald liebt die Zitate,
malt sie kunstbeflissen ah Plakate,
die er an die Zimmerwände zweckt,
daß er täglich ihre Weisheit schmeckt.

Überm leeren Schreibtisch liest der Gast:
„Wer zuviel studiert, wird ein Phantast“

(aus dem „Narrenschiffe“ von S. Brant,
leider viel zu wenig noch bekannt).

Und im Speisezimmer angezweckt
ein Zitat hängt, bei dem’s doppelt schmeckt:
„Reiche Mahlzeit macht uns einverstanden
mit der ganzen Welt, selbst mit Verwandten."
Doch das Neckischste im ganzen Hause
liest man auf der allerstillsten Klause,

„Der Gute räumt den Platz dem Bösen."

Kladderadatsch
 
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