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Vertrat des
fi laddirculatsdt

FRANZ STEIN

..Wo siehst du Hörner, Schweif und
Klauen?“ fräst Mephisto die Hexe in
der Sudelküthe. Iiei ihm. dem nun in
Berlin heimisch gewordenen Schau-
spieler des alten Rose- und neuen Bes-
sinstheaters. Franz Stein, sah man sie.
als er vor etwa 20 fahren auf der
Grünen Bühne des Harzer Borgthca-
ters bei Thalc in Goethes „Faust“ den
Mephisto spielte. Und man hätte sich

Sommernacht mit den Hexen den Teu-
felsritt zum Blocksberg, dem vom
Hexentanzplatz aus fern sichtbaren
Brocken, gewagt hätte, selber „eine
jener langbeinigen Zikaden“, als deren
Herrn er sich ausgab. Als ein ähnlich
stark wirkendes phantastisches Spuk-
bild einer Naturerscheinung, wie eine

Erinnerung an jene Szene, wo man ihn
als Don lianudo in Kotzebucs roman-
tischem Ritterstück eine hohe Leiter
zum Ahnenschild an der Wand hinauf-

Genial ins Phantastische und Groteske
übertragene Naturen waren auch viele
seiner anderen Rollen, wie Shakespe-
ares Malvolio. die Ncstroyfigur Schna-
ke, I. der „Flachs,»an» als Erzieher“
oder „Schneider Wibbel“ und Krischan
Stuhr in August llinrichs Komödie
„Der Fuchs in der Falle“. Das ist sein
Stil: donquischotische Menschenbilder,
hiimorigc Käuze und melancholische
Narren, allerlei schnurrige und knur-
rige Gestalten uns vor Augen zu füh-
ren und ins Herz zu spielen. Sic gei-
stern immer in der Nähe des Zerrbildes
— und darum ist der Kladderadatsch
sein besonderer Freund —, sind aber
alle tief im Lebenswahren und Wesens-
echten verwurzelt, ragen hinein ins
hohe Reich der Dcnkbildcr oder Ideen:
der Hauch des Ideals macht sie uns in
der Nachschöpfung Franz Steins un-
vergeßlich.

Und man wundert sich, daß dieser auch
in seinen Masken und Gesten so aus-
drucksvolle und doch so behutsame,
vornehme Menschendarsteller erst Ln
den letzten Jahren seiner Bedeutung
entsprechend erkannt, aber noch nicht
im Spielplan so anerkannt worden ist,
wie er es verdient. Doch fragt man ihn
nach dem Grund, winkt er bescheiden
ab, etwa mit der Bemerkung: „Man
braucht hier in Berlin ja auch für klei-
nere Rollen gute Schauspieler.“ Wir
wünschen ihm trotz seiner Beschei-
dung noch eine, wenn auch langsame,
so doch sichere Entwicklung in seinem
Rollenfach auf dem Wege zum ver-
dienten Ruhme! Heinrich Nocren

Da^ledust

Dazzledust — was mag das wohl sein?
Zweifellos ein Wort amerikanischen Ur-
sprungs. Nun sind meine Kenntnisse der
englischen Sprache zwar außerordentlich
■Mangelhaft, aber das hindert mich nicht, die
Politiker sehr gut zu verstehen, die sich die-
ses Idioms bedienen. Ich merke nämlich im-
mer, was sie meinen, auch wenn sich das
sehr wesentlich von dem unterscheidet, was
sie sagen. Mit dieser satirischen Reaktions-
fähigkeit auf angloamerikanische Phrase-
ologien hängt es offenbar zusammen, daß
ich beim Anblick, des Wortes „dazzledust"
die deutliche Vorstellung hatte, dieser Be-
griff müsse irgendwie dem einstigen „Da-
daismus“ verwandt sein. Der Instikt hatte
mich denn auch tatsächlich nicht betrogen.
Beim Studium einer Meldung aus New York
stellte es sich nämlich heraus, daß „dazzle-
dust“ eine journalistische Bezeichnung für
die von Roosevelt propagierten „Vier Frei-
heiten“ ist.* Die Kongreßabgeordnete Cläre
h Boothe-Luce hat sie zuerst angewendet, und
Kenner des us-amerikanische Slang über-
setzen sie mit „Mumpitz“. — Frau Boothe-
Luce hat — das muß ihr der Neid lassen —
mit diesem Schlagwort eine geradezu ge-
niale Formulierung dessen gefunden, was
ihr Ehemann Henry Luce, der Herausgeber
der Zeitschrift „Life“ unter der Spitzmarke
„Das amerikanische Jahrhundert“ in die Ge-
schichte eingehen wissen möchte, und was
den ganzen Inhalt der sogenannten Politik
Franklin Roosevelts ausmacht
Schon der sogenannte Wahlkampf, der dem
Weißhäusler wieder auf den Präsidenten-
stuhl verhalf, war dazzledust. Als Wähler
des Meineidskavaliers erschienen in den
Listen viele Tausende, die längst das Zeit-
liche gesegnet hatten, und der sogenannte
Gegenkandidat Willkie, der jede naheliegen-
de Polemik gegen seinen angeblichen Ri-
valen sorgfältig vermied, hatte sich insge-
heim längst mit Roosevelts Geldgebern
„arrangiert“. Die ganze Sache war ein
Scheinkampf, war Mumpitz, war dazzle-
dust, d. h. wörtlich „Sand, der die Augen
blendet“.

Was als dazzledust begann, konnte natür-
lich nur auf der gleichen geistigen Ebene
weitergeführt werden und im wesentlichen
nur das Ziel haben, nach der amerikani-
schen nun auch der internationalen Öffent-
lichkeit Sand in die Augen zu streuen. Mit
einem Schlage macht uns diese einfache
Überlegung alles klar, was wir bislang im-
mer nur mit leicht verwundertem Kopf-
schütteln verzeichnet hatten, Roosevelts
astronomische Rüstungsstatistiken, laut
denen in einem Monat soviel Rohstoff ver-
braucht werden sollte, wie den USA. für
ein ganzes Jahr zur Verfügung steht,
Henry Kaisers märchenhafte „Liberty“-
Schiffe, die beinahe noch vor der Kiel-
legung fertig sein sollten, in praxi dann
aber häufig noch vor ihrer Jungfernreise
untergingen, die vielberedete „gute Nach-
barschaft“ mit den Südamerikanem, eine
Nachbarschaft, die sich als dauernde Er-
pressung erwies —: dazzledust, nichts als
dazzledust!

Aber der Sandmann Roosevelt hatte falsch
gezielt: von dem Sand, den er der Welt
ins Auge streuen wollte, hatten seine eige-
nen Admirale und Generale den größten
Teil abbekommen, und so war „Sandmänn-
chen“ noch nicht von ihnen gewichen, als
der Krieg im Pazifik ausbrach. Sie ver-
schliefen die Schlacht, und nach ihrem
Schlaf gab es für die Yankees ein böses
Erwachen, denn es stellte sich plötzlich und
unvermittelt heraus, daß die im Reiche des

dazzledust bereits von der Landkarte weg-
radierten Japaner im Bezirke der kriegeri-
schen Wirklichkeit unangenehm vorhanden
und peinlich lebendig sind. Aber ehe man
sich in den Staaten noch den „dust“ aus
den Augen reiben konnte, der den Blick auf
die Welt trübte, hatte Roosevelts „Brain
Trust“ bereits neuen hineingestreut, und der
Marinekavallerist Knox versuchte, durch
ein schlechtes Gedächtnis für us-ameri-
kanische Schiffsverluste die Lage günstig
erscheinen zu lassen. Dazzledust, nichts als
dazzledust.

Dessen größte Leistung ist aber erst in die-
sen Tagen bekanntgeworden. Wie die us-
amerikanische Nachrichtenagentur „United
Press“ aus New York meldet, soll das ameri-
kanische Volk jetzt im Gemeinschaftssingen
unterrichtet werden, um im Falle der Ge-
fahr die Zeit mit dem Absingen von Lie-
dern ausfüllen und auf diese Weise eine
Panik vermeiden zu können. — Es kann kein
Zufall sein, daß gleichzeitig mit dieser Nach-
richt über die musikalischen Kriegsanstren-
gungen der amerikanischen Regierung von
Bestrebungen anderer einflußreicher Kreise
berichtet wird, die Gefahr herbeizuführen,
die — nach der ersten Meldung — durch
Gemeinschaftssingen gebannt werden soll.
Unter Leitung der Komiker Charly Chaplin
und Albert Einstein sowie des Dirigenten
Leopold Stokowsky hat sich ein „nationa-
ler“ Verband für amerikanisch-sowjetische
Freundschaft gebildet. Damit wird das Mu-
sikprogramm erweitert. Das amerikanische
Volk soll noch mehr als bisher nachtferjü-
dischen Pfeife tanzen, und hat dan WWnd
und Gelegenheit, unter Leitung "V. 'Sto-
kowsky den gemeinschaftlichen Gesang an-
zustimmen: „Verlassen, verlassen, verlassen
bin ich!", verlassen von allen guten Geistern
der Vernunft, verlassen von seinen soge-
nannten Volksvertretern.

.Und wenn dann der dazzledust verflogen
sein wird, wenn die Yankees dann wieder
offenen Auges ihr Schicksal betrachten kön-
nen, dann werden sie bemerken, daß man
mit dem Absingen gemeinschaftlicher Lie-
der nichts gegen den Bolschewismus aus-
richten kann.

In den Massengräbern eines amerikanischen
Katyn wird es allerdings auch keine Panik
mehr geben. Die Durchführung des Pro-
gramms der Hirntrust- und der Sowjet-
freundschaftsjuden sichert den Yankees
Ruhe, die Ruhe der Leichenstätte.

Darüber kann kein Rooseveltscher dazzle-
dust hinwegtäuschen. -m'.

UM DANZIG

Um Danzig, — als Grund man das damals ersann,
England den „reizenden Krieg" begann.

Um Danzig, — jo hat man voll Hohn gelacht, —
wird in Deutschlands Seele der Zorn entjacht.

Um Danzig, — wer hat es in England gekannt? —
ist das gewaltigste Blutbad entbrannt.

Um Danzig schafft man leichtfertig die Not,
bringt kalt berechnend Millionen den Tod.

Um Danzig stürzt eine Welt man in Leid,
aus flammendem Haß und aus brennendem Neid.
Um Danzig, gegen das göttliche Recht,
rafft man dahin ein ganzes Geschlecht.

Um Danzig wird England, geschlagen und nackt,
am Tage der Rache von Reue geparkt.

Um Danzig sein Thron in Tränen ertrinkt,
um Danzig in Dunkel ein Weltreich versinkt.

Um Danzig. c

kladderadatsch
 
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