Michelangelo.
odovico, Leonardos Sohn, Buonarroti
Simoni, der Sproß eines alten Floren-
tiner Adelsgeschlechts, wurde im Herbst 1474
von der Republik Florenz, deren Oberhaupt
damals Lorenzo de ' Medici war, mit dem
Amt eines Podesta — Bürgermeisters und
Richters — von Castello di Chiusi und
Caprese betraut. Während dieser seiner
Amtszeit, die auf ein halbes Jahr bemessen
war, schenkte ihm seine Gattin Francesca
den zweiten Sohn, worüber er folgenden
Vermerk in das Familienbuch cintrug: „Ich
bekunde, daß Heute am 6. März 1474 mir
ein Kind männlichen Geschlechts geboren
worden ist; ich habe ihm den Namen Michel-
agnolo gegeben; er ist geboren am Montag
Morgen gegen vier oder fünf Uhr, während
ich Podesta von Caprese bin, und in Caprese
ist er geboren. Paten waren die unten
Genannten. Er wurde getauft am 8. des-
selben Monats in der Kirche S. Giovanni
zn Caprese. (Es folgt die Nennung der
Taufzeugen, neun an der Zahl.) Ich bemerke,
daß es der 6. März 1474 nach Florentiner
Rechnung ab iuearuatious ist, nach römischer
Rechnung a nativitats ist es 1475." Der
Geburtstag ist demnach auch nach unserer
Zeitrechnung der 6. März 1475. Der
Florentiner Kalender begann das Jahr mit
dem Tage der Menschwerdung des Herrn
(25. März), der römische mit dem Tage der
Gebnrt des Herrn; der Gebrauch, nicht den
ersten, sondern den achten Tag nach der
Christnacht als Anfangstag des Jahres zu
betrachten und so die christliche Zeitrechnung
mit dem altrömischen Kalender in Über-
einstimmung zu bringen, kam erst im XVII.
Jahrhundert zu allgemeiner Durchführung.
Zu der Schreibweise des Namens Michel-
agnolo ist zn bemerken, daß sie auf der
Knackfuß, Michelangelo.
Aussprache des Wortes au§s1o in alter
Florentiner Mundart beruht.
Nach der Sitte der Zeit wurde dem
Knaben das Horoskop gestellt; man fand,
daß er unter verhängnisvollem und glück-
lichem Stern geboren sei, und las aus der
Stellung der Gestirne, daß man von seiner
Hand und von seinem Geiste wunderbare
und staunenswürdige Dinge erwarten dürfe.
Als die Amtszeit Lodovicos abgelaufen
war, kehrte er nach Florenz zurück und lebte
zeitweilig auf seiner in der Nähe der Stadt,
in dem Dorfe Settignano gelegenen Besitzung.
Hier bekam der kleine Michelangelo als Amme
eine Steinmetzenfrau, die auch Tochter eines
Steinmetzen war; darum sagte er im Alter
scherzweise zu seinem Schüler und Lebens-
beschreiber Vasari, er habe die Bildhauer-
kunst mit der Ammenmilch eingesogen. Als
Michelangelo heranwuchs und eine gelehrte
Schule besuchte, benutzte er jeden freien
Augenblick zum Zeichnen. Diese Neben-
beschäftigung wurde anfänglich vom Vater
heftig getadelt; nachdem derselbe aber von
der Unwiderstehlichkeit des künstlerischen
Dranges, welcher Michelangelo erfüllte, sich
überzeugt hatte, beschloß er, diese Neigung
fruchtbar zu machen und seinen Sohn in
der Malerei ausbilden zu lassen. So schloß
Lodovico Buonarroti am 1. April 1488
mit Domenico Ghirlandajo, dem trefflichsten
Maler von Florenz — damals unbestritten
der ersten Kunststadt Italiens —, und mit
dessen Bruder David einen Vertrag, wonach
Michelangelo bei ihnen in dreijähriger Lehr-
zeit die Malerei erlernen sollte; für die
Dienste, welche er seinen Meistern in dieser
Zeit leisten würde, sollte er eine Vergütung
von 24 Gulden oder 96 Lire (ungefähr
165 Mark) bekommen. In den Lebens-