Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Knackfuß, Hermann; Michelangelo [Ill.]
Michelangelo — Künstler-Monographien, Band 4: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1899

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.71515#0035
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Michelangelo.

27

angelo im Begriffe, ein Marmorwerk von
einem Umfange zu schaffen, wie Rom seit
zwölf Jahrhunderten nichts Ähnliches Hatte
entstehen sehen, ein Werk, das wie kein an-
deres den Lieblingsgedanken der Renaissance-
zeit, die Kunst des römischen Altertums
fortzusetzen, zu verwirklichen geeignet er-
schien. Der Boden Roms gab gerade in
jener Zeit Schätze an das Tageslicht, welche
die antike Bildhauerkunst in noch viel grö-
ßerer Herrlichkeit zeigten, als ihre bis dahin
bekannten Werke. Im Jahre 1506 wurde
in der Nähe der Überbleibsel von den Bä-
dern des Titus die Laokoongruppe aus-
gegraben, und Michelangelo begrüßte sie als
„das Wunder der Kunst", das er von allen
Werken des Altertums neben dem berühmten
Herculestorso am höchsten schützte. Auch
den antiken Dekorationsmalereien, welche
in den Bädern des Titus aufgedeckt wurden,
hat Michelangelo seine Anfmerksamkeit zu-
gewendet. Ein in der Sammlung Wicar
zu Lille bewahrtes Blatt gibt Kunde davon.
Auf den beiden Seiten dieses Blattes hat
er mit flüssiger Feder, deren Züge
das dünne Papier ganz durch-
drungen Haben, Skizzen niederge-
schrieben, die man als Erinnerungen
an einige jener kleinen Figuren-
bildchen erkennt, welche die an-
tiken Zimmermaler in das Formen-
spiel ihres Zierwerks eingeflochten
Haben (Abb. 31 und 32).
Die Hoffnungsfreudigkeit, mit
welcher Michelangelo sich an das
große Werk begab, wurde bald ent-
täuscht. Die Größe des Werkes
selbst gab mittelbar die erste Ver-
anlassung, daß es nicht zustande
kam. Die alte Peterskirche bot
nicht so viel Raum, daß das rie-
sige Grabmal darin hätte aufge-
stellt werden können. So dachte
Julius II daran, zur Aufnahme des-
selben die neue Chornische, deren
Grundmauern Nikolaus V vor
einem halben Jahrhundert Hatte
legen lassen, auszubaucn. An die-
sen Gedanken reihte sich bald der
größere, die ganze Peterskirche
durch einen Neubau von uner-
hörter Ausdehnung zu ersetzen.
Und als Bramaute dem Papst
seinen großartigen Entwurf zu

einem solchen Neubau vorlegte, war die Ver-
wirklichung des Gedankens sofort beschlossen.
In der Seele des Papstes, der darin mit
Michelangelo etwas Geistesverwandtes Hatte,
daß die größte Unternehmung ihm immer
die liebste war, mußte vor dem Plan des
Neubaues der Peterskirche derjenige der
Ausführung seines Grabmals in den Hinter-
grund treten. Auch soll Bramaute, der
Michelangelo diesen Auftrag nicht gönnte,
dem Papst vorgeredet haben, es sei von
übler Vorbedeutung, sich bei Lebzeiten sein
Grab bauen zu lassen. Die immer wieder-
kehrenden Züge grimmiger Künstlereifersucht
sind häßliche Flecken in dem sonst so Präch-
tigen Bild der römischen Renaissance. —
Julius II ließ den Gedanken an das Grab-
mal ganz fallen. Er wollte Michelangelo
eine Entschädigung geben durch den Auf-
trag, die Decke der vatikanischen Kapelle,
welche Sixtus IV hatte erbauen lassen, aus-
zumalen; auch dieses soll Bramaute ihm
geraten haben, weil er glaubte, daß Michel-
angelo einer solchen malerischen Aufgabe nicht


Abb. SS. Frauenkopf. Zeichnung in der Uffiziengalerie zu Florenz
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Element L Cie. in
Darnach i. E. und Paris.)
 
Annotationen