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Michelangelo.
Abb. 78. Der Abend. Marmorsigur am Grabmal des Lorenzo de ' Medic! in Florenz.
grabmal. Im Laufe von mehr als zwanzig
Jahren hatte dieses Gespenst sein Aussehen
verändert. Während es einst so lockend vor
des Künstlers Augen gestanden hatte, daß
er jede Arbeit, die sich zwischen ihn und
dieses Traumbild stellte, als eine Qual em-
pfand, so erschien es ihm jetzt nur drohend
und schreckend. Michelangelo fühlte gar
nicht mehr die Kraft in sich, das mit so
heißer Begeisterung begonnene Werk zu voll-
enden. Nicht mehr der Wunsch des Herzens,
sondern das Pflichtgefühl hielt ihn an das-
selbe gefesselt.
Der Herzog von Urbino verharrte nicht
lange in der Geduld, die er im Anfang der
Regierung Clemens' VII zu zeigen schien.
Die Frist, binnen deren das Grabmal hätte
vollendet sein sollen, war abgelaufen, und
von Adrian VI hatten die Erben Julius' II.
sich die Erlaubnis ausgewirkt, gerichtlich
gegen Michelangelo vorzugehen. Aber Mi
chelangelo wollte nicht prozessieren. „Ich
nehme an, ich hätte prozessiert und ver-
loren," schrieb er im April 1525, „und
müßte Schadenersatz leisten. Wenn daher
der Papst mir helfen will, was mir die
größte Freude wäre, da ich wegen Alters
oder schlechten körperlichen Befindens das
Juliusgrab zu vollenden nicht imstande bin,
so kann er als Mittelsmann den Willen
aussprechen, daß ich zurückerstatte, was ich
bekommen habe, um dasselbe zu machen:
so daß ich aus dieser Sache Herauskomme
und daß die Verwandten des Papstes Julius
mit dem zurückerstatteten Geld es machen
lassen können nach ihrem Gefallen und von
wem sie wollen .... Und ich werde im-
stande sein, an die Sachen des Papstes zu
denken und zu arbeiten: denn auf diese
Weise lebe ich nicht, geschweige daß ich ar-
Michelangelo.
Abb. 78. Der Abend. Marmorsigur am Grabmal des Lorenzo de ' Medic! in Florenz.
grabmal. Im Laufe von mehr als zwanzig
Jahren hatte dieses Gespenst sein Aussehen
verändert. Während es einst so lockend vor
des Künstlers Augen gestanden hatte, daß
er jede Arbeit, die sich zwischen ihn und
dieses Traumbild stellte, als eine Qual em-
pfand, so erschien es ihm jetzt nur drohend
und schreckend. Michelangelo fühlte gar
nicht mehr die Kraft in sich, das mit so
heißer Begeisterung begonnene Werk zu voll-
enden. Nicht mehr der Wunsch des Herzens,
sondern das Pflichtgefühl hielt ihn an das-
selbe gefesselt.
Der Herzog von Urbino verharrte nicht
lange in der Geduld, die er im Anfang der
Regierung Clemens' VII zu zeigen schien.
Die Frist, binnen deren das Grabmal hätte
vollendet sein sollen, war abgelaufen, und
von Adrian VI hatten die Erben Julius' II.
sich die Erlaubnis ausgewirkt, gerichtlich
gegen Michelangelo vorzugehen. Aber Mi
chelangelo wollte nicht prozessieren. „Ich
nehme an, ich hätte prozessiert und ver-
loren," schrieb er im April 1525, „und
müßte Schadenersatz leisten. Wenn daher
der Papst mir helfen will, was mir die
größte Freude wäre, da ich wegen Alters
oder schlechten körperlichen Befindens das
Juliusgrab zu vollenden nicht imstande bin,
so kann er als Mittelsmann den Willen
aussprechen, daß ich zurückerstatte, was ich
bekommen habe, um dasselbe zu machen:
so daß ich aus dieser Sache Herauskomme
und daß die Verwandten des Papstes Julius
mit dem zurückerstatteten Geld es machen
lassen können nach ihrem Gefallen und von
wem sie wollen .... Und ich werde im-
stande sein, an die Sachen des Papstes zu
denken und zu arbeiten: denn auf diese
Weise lebe ich nicht, geschweige daß ich ar-