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Michelangelo.
Abb. 88. Brutus. Marmorbüste im Nationalmuseum zu Florenz.
(Nach einer Originalphotographie von G. Brogi in Florenz.)
Figuren. Eine neue Schwierigkeit
bereitete Michelangelo sich selber,
oder vielmehr sein künstlerisches
Gewissen bereitete sie ihm. Zwei
von. jenen drei Figuren, die beiden
Gefangenen, waren bestimmt ge-
wesen, an einem mächtig auf-
gebauten, mit zahlreichen anderen
Figuren ausgestatteten Grabmal in
Gemeinschaft mit vielen gleich-
artigen als schmückende Glieder, in
inniger Verbindung mit der Archi-
tektur, verwendet zu werden. An
dem verkleinerten, zu einem an
die Wand angelehnten flachen Auf-
bau zusanimengeschrumpften Grab-
mal würde es allzu befremdlich
ausgesehen haben, wenn zwei Ne-
benfiguren, deren Bedeutung noch
dazu durch ihre Vereinzelung ab-
geschwächt wurde, als ein Hervor-
ragender Hauptbestandteil des Fi-
gnrenschmuckes aufgetreten wären.
Darum beschloß Michelangelo, die-
selben durch inhaltlich bedeutsamere
Gestalten zu ersetzen; er wählte
dazu, in Wiederaufnahme eines
Gedankens, welcher schon bei dem
ersten Entwurf des Grabmals be-
stand, die Verbildlichung des thä-
tigen und des beschaulichen Lebens.
So begann er eigenhändig,
da doch einmal drei Figuren von
seiner Hand das Werk schmücken
sollten, die überlebensgroßen Figu-
das Wohlwollen des Herzogs zu nähren ge-
wußt durch einen demselben übersandten Ent-
wurf zu einem in Edelmetall auszuführen-
den Salzfaß. Im Frühjahr 1542 arbeiteten
mehrere Gehilfen — die zum Teil schon seit
längerer Zeit mit dieser Arbeit beschäftigt
waren — an den Figuren, welche Michel-
angelo für den oberen Teil des Grabmals
angeordnet hatte. Andere, darunter Fran-
cesco di Amadore, genannt Urbino, der zu-
gleich der Diener des Meisters war, ar-
beiteten an dem banlichen Rahmen und
dem Zierwerk. Am 6. März 1542 erklärte
der Herzog in einem Briefe an Michelangelo
noch einmal ausdrücklich, daß er von dessen
eigener Hand — mit Rücksicht darauf, daß
der Papst ihn schon wieder durch einen
nenen Auftrag gebunden habe, — nichts
weiter verlange, als die drei bereits fertigen
ren der Rachel und der Lea: jene als die
Beschauliche betend, diese — nach einem
von Dante gebrauchten Bilde — mit einem
Blumenkranz in der Rechten und einem
Spiegel in der Linken als die Thätige. Zwar
wurde in dem Vertrag, der am 20. August
1542 als der letzte über das Juliusgrab-
mal abgeschlossen wurde, dem Meister ge-
stattet, die Vollendung auch dieser beiden
Figuren fremder Hand zu überlassen. Aber
er kam später doch wieder auf die eigen-
händige Ausarbeitung derselben zurück. Jni
Jahre 1545 war das Grabmal Julius' II
in der Gestalt, in der wir es in der Kirche
S. Pietro in vincoli erblicken, fertig. Sein
unterer Teil zeigt eine Anordnung, welche
derjenigen entspricht, die Michelangelo für
das Erdgeschoß des ursprünglich geplanten
Grabbaucs entworfen hatte: zu den Seiten
Michelangelo.
Abb. 88. Brutus. Marmorbüste im Nationalmuseum zu Florenz.
(Nach einer Originalphotographie von G. Brogi in Florenz.)
Figuren. Eine neue Schwierigkeit
bereitete Michelangelo sich selber,
oder vielmehr sein künstlerisches
Gewissen bereitete sie ihm. Zwei
von. jenen drei Figuren, die beiden
Gefangenen, waren bestimmt ge-
wesen, an einem mächtig auf-
gebauten, mit zahlreichen anderen
Figuren ausgestatteten Grabmal in
Gemeinschaft mit vielen gleich-
artigen als schmückende Glieder, in
inniger Verbindung mit der Archi-
tektur, verwendet zu werden. An
dem verkleinerten, zu einem an
die Wand angelehnten flachen Auf-
bau zusanimengeschrumpften Grab-
mal würde es allzu befremdlich
ausgesehen haben, wenn zwei Ne-
benfiguren, deren Bedeutung noch
dazu durch ihre Vereinzelung ab-
geschwächt wurde, als ein Hervor-
ragender Hauptbestandteil des Fi-
gnrenschmuckes aufgetreten wären.
Darum beschloß Michelangelo, die-
selben durch inhaltlich bedeutsamere
Gestalten zu ersetzen; er wählte
dazu, in Wiederaufnahme eines
Gedankens, welcher schon bei dem
ersten Entwurf des Grabmals be-
stand, die Verbildlichung des thä-
tigen und des beschaulichen Lebens.
So begann er eigenhändig,
da doch einmal drei Figuren von
seiner Hand das Werk schmücken
sollten, die überlebensgroßen Figu-
das Wohlwollen des Herzogs zu nähren ge-
wußt durch einen demselben übersandten Ent-
wurf zu einem in Edelmetall auszuführen-
den Salzfaß. Im Frühjahr 1542 arbeiteten
mehrere Gehilfen — die zum Teil schon seit
längerer Zeit mit dieser Arbeit beschäftigt
waren — an den Figuren, welche Michel-
angelo für den oberen Teil des Grabmals
angeordnet hatte. Andere, darunter Fran-
cesco di Amadore, genannt Urbino, der zu-
gleich der Diener des Meisters war, ar-
beiteten an dem banlichen Rahmen und
dem Zierwerk. Am 6. März 1542 erklärte
der Herzog in einem Briefe an Michelangelo
noch einmal ausdrücklich, daß er von dessen
eigener Hand — mit Rücksicht darauf, daß
der Papst ihn schon wieder durch einen
nenen Auftrag gebunden habe, — nichts
weiter verlange, als die drei bereits fertigen
ren der Rachel und der Lea: jene als die
Beschauliche betend, diese — nach einem
von Dante gebrauchten Bilde — mit einem
Blumenkranz in der Rechten und einem
Spiegel in der Linken als die Thätige. Zwar
wurde in dem Vertrag, der am 20. August
1542 als der letzte über das Juliusgrab-
mal abgeschlossen wurde, dem Meister ge-
stattet, die Vollendung auch dieser beiden
Figuren fremder Hand zu überlassen. Aber
er kam später doch wieder auf die eigen-
händige Ausarbeitung derselben zurück. Jni
Jahre 1545 war das Grabmal Julius' II
in der Gestalt, in der wir es in der Kirche
S. Pietro in vincoli erblicken, fertig. Sein
unterer Teil zeigt eine Anordnung, welche
derjenigen entspricht, die Michelangelo für
das Erdgeschoß des ursprünglich geplanten
Grabbaucs entworfen hatte: zu den Seiten