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Knackfuß, Hermann; Michelangelo [Ill.]
Michelangelo — Künstler-Monographien, Band 4: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.71515#0111
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Michelangelo.

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eines Mittelfeldes zwei von Hermenpfeilern
eingeschlossene Nischen. In den Nischen
Haben die Verbildlichungen des beschaulichen
und des thätigen Lebens Platz gefunden,
und in dem engen Mittelraum sitzt der ge-
waltige Moses: die Leere über den vor den
Pfeilern heraustretenden Sockeln, die als
Fußgestelle für die Reihe der Gefangenen
gedacht waren, wird durch gewundene Stein-
gebilde, umgekehrte Konsolen, einigermaßen
ausgefüllt (Abb. 87). Der obere Teil des
Grabmals, der in der Mitte die Figuren
des auf einem Sarkophag ruhenden Papstes
und der Madonna, seitlich diejenigen eines
Propheten und einer Sibylle enthält, zeigt
nicht nur in den Figuren sehr deutlich, daß
Michelangelos Hand hier fern geblieben ist,
sondern er verrät auch in der Anordnung
nichts von Michelangelos Geist. Wir er-
fahren, daß Michelangelo sich über die Fi-
guren des Propheten und der Sibylle sehr
unzufrieden geäußert habe. Im übrigen
aber überwog die Beruhigung, daß die Sache
überhaupt zu einem Ende gekommen War,
den Schmerz darüber, daß dieses Ende im
Vergleich mit den großen Hoffnungen, die
er vor vierzig Jahren gehegt, so überaus
kläglich war. Der einst so leidenschaftliche
Manu Hatte gelernt, sich zu ergeben. So
Hatte er auch später auf die Mitteilung,
daß sein Freskobild des Weltgerichts auf
Befehl Pauls IV einer Übermalung unter-
worfen werden sollte, nichts zu erwidern,
als die Worte: „Bilder lassen sich ändern;
wenn der Papst nur die Welt ändern
könnte!"
Die überflüssig gewordenen Figuren der
beiden Gefangenen schenkte Michelangelo dem
in Lyon ansässigen Florentiner Roberto Strozzi,
in dessen römischem Hause er im Jahre 1544
während einer schweren Krankheit gepflegt
wurde. Dieselben kamen dann in den Besitz
des Connetable Anne de Montmorency;
vom letzten Montmorency wurden sie dem
Kardinal Richelieu geschenkt, und sie blieben
im Besitz der Familie Richelieu, bis sie gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts für den
französischen Staat erworben wurden. — Es
ist erwähnenswert, daß Michelangelo an
Roberto Strozzi die Bitte richtete, dem König
von Frankreich zu sagen, daß er, Michel-
angelo, auf seine eigenen Kosten dem König
ein ehernes Reiterstandbild ans dem Haupt-
platz von Florenz errichten wollte, wenn der-

selbe Florenz die Freiheit wieder verschaffte.
Michelangelo glühte für die Freiheit seiner
Heimat, die doch als endgültig verloren
gelten mußte, seit Äleffandros Nachfolger,
der junge und thatkräftige Cosimo, das Haupt
der jüngeren Linie der Mediceer, die Stadt
und ihr Gebiet als ein erbliches Herzogtum
beherrschte. In jener Zeit mag der Meister
die trotz ihres unfertigen Zustandes so wun-
derbar ausdrucksvolle Büste des Freiheits-
helden Brutus gemeißelt Haben, die sich im
Nationalmuseum zu Florenz befindet (Abb. 88).
Der in dem Brief des Herzogs von
Urbino vom 6. März 1542 erwähnte neue
Auftrag Pauls III an Michelangelo war
die Ausschmückung der Kapelle, welche dieser
Papst im Vatikan hatte erbauen lassen und
die nach ihm als die Paulinische Kapelle
bezeichnet wird, mit Freskogemälden. Die
darzustellenden Gegenstände waren die Be-
kehrung des Paulus und die Kreuzigung
des Petrus. Die allmähliche Erfüllung dieses
Auftrages beschäftigte den betagten Meister
bis zum Jahre 1549. Wir müssen darüber
staunen, daß Michelangelo im achten Jahr-
zehnt seines Lebens noch die körperliche
Kraft besaß, welche dazu gehört, eine um-
fangreiche Freskomalerei auszuführen; und
wir dürfen uns nicht darüber wundern,
wenn aus diesen späten Werken, ungeachtet
aller Schönheiten, welche in den Einzelheiten
der figurenreichen Darstellungen vorhanden
sein mögen, keine große dichterische Kraft
mehr spricht. — Michelangelo selbst sagte,
die Freskomalerei sei keine Sache für alte
Leute, und in einer Gesellschaft, welche sich
um die geistvolle und gefeierte Markgräfin-
Witwe von Pescara, Vittoria Colonna, ver-
sammelt hatte, äußerte er, daß er nicht mehr
die Kraft in sich fühlte, welche eine solche
Liebe wie die Malerei beanspruche.
Der Name der Vittoria Colonna ist
der Nachwelt wohl durch nichts so sehr be-
kannt geworden, wie durch ihre Beziehungen
zu Michelangelo. Vittoria, die Tochter des
Großconnetable von Neapel, Fabrizio Colonna,
War im Jahre 1490 geboren. Schon als
Mädchen war sie weit und breit berühmt
wegen ihres Geistes und ihrer Schönheit,
und mehr als ihre Abstammung aus dem
alten und mächtigen römischen Adelsgeschlecht
ließen ihre persönlichen Eigenschaften sie in
den Augen fürstlicher Bewerber begehrens-
wert erscheinen. Im Jahre 1509 ver-

Knackfuß, Michelangelo.

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