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Knackfuß, Hermann; Raffael [Ill.]
Raffael — Künstler-Monographien, Band 1: Bielefeld, Leipzig: Verlag von Velhagen & Klasing, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.60844#0053
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41

Toten zu der Schmerzensmutter wendet; der Jünger Johannes, Joſeph von
Arimathia und andere Perſonen ſtehen mit verſchiedenartigen Äußerungen des
Schmerzes und der Anteilnahme zur Seite. Eine ausführlichere und größere Zeich-
nung, im Louvre, auf der aber nicht ſämtliche Figuren, ſondern nur die wichtigſten
dargeſtellt ſind, zeigt die nämliche Anordnung mit einigen Abweichungen (Abb. 51):
Magdalena umfaßt Hand und Knie des Toten; hinter ihr erſcheint eine junge
Frau, die beſorgt das Kopftuch der ohnmächtigen Maria lüftet; Joſeph von
Arimathia, der auf der kleinen Skizze neben Johannes ſteht, iſt hinter die mit
Maria beſchäftigten Frauen getreten und drückt ſeinen Schmerz und ſeine Un-
fähigkeit zu tröſten durch Ausbreiten der Arme aus. Die Kompoſition erinnert
in dieſer Geſtalt, in der Anordnung im ganzen und großen ſowohl wie in
mehreren Einzelheiten, an eine Darſtellung desſelben Gegenſtandes, die Perugino
für die Kirche S. Chiara zu Florenz gemalt hatte, eins der vorzüglichſten Werke
des Meiſters (ietzt im Palazzo Pitti). Indeſſen entſchloß ſich Raffael bald
zu einer ganz neuen Kompoſition, in der ſich die Anderung bis auf die Wahl
des Augenblicks erſtreckte. Er verwandelte das ruhige Bild in ein bewegtes.
Zwei Träger haben den Leichnam des Erlöſers aufgehoben; ſie ſind am Eingang
der Gruft angekommen, zu der Stufen emporführen, die der vorderſte Träger,
rückwärts ſchreitend und ſchwer hebend an der Laſt des toten Körpers, eben er-
ſteigt; noch einen Blick werfen die Freunde, vor allen Magdalena, die noch ein-
mal die Hand Chriſti ergriffen hat, auf das teure Antlitz, bevor es ihnen für
immer enkzogen werden joll; der Mutter aber haben auf dem ſchweren Gange
die Füße verfagt; die Sinne ſchwinden ihr, und ſie fällt ſchwer wie ein Leichnam
in die Arme der begleitenden Frauen; ein Blick auf den Kreuzeshügel ſchließt
den Horizont (Abb. 53). In dieſer endgültigen Faſſung malte Raffael das Bild
in Perugia nach einem in Florenz gezeichneten Karton. Daß Raffael bei der
Ausführung des Kartons ſchon mit Gehilfen arbeitete, lehrt uns ein Blatt in
der Uffizienſammlung (Abb. 52), das die Hauptgruppe in höchſt ſchülerhafter
Zeichnung und mit einem Quadratnetz überzogen enthält; dieſe Zeichnung diente
lediglich dem Zwecke der Übertragung in die Ausführungsgröße; mit der eigenen
Meiſterhand aber ſcheint Raffael die Umriſſe von Kopf und Schulter der Magda-
lena darin nachgezogen zu haben; als ein wieder aufgegebener Verſuch ſtellt ſich
die in die Lücke zwiſchen Magdalena und dem Träger eingeſchobene Figur dar. —
Die Staffel des Altarbildes ſchmückte er mit den grau in grau gemalten Dar-
ſtellungen der drei chriſtlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe in weib-
lichen Halbfiguren: der Glaube betrachtet mit dem Ausdruck der Überzeugungs-
feſtigkeit, die Hand zur Beteuerung auf die Bruſt gelegt, den Kelch mit der
Hoſtie; die Hoffnung faltet die Hände und blickt mit einem unvergleichlichen
Ausdruck unerſchütterlicher Zuverſicht nach oben; die Liebe hat eine Schar von
Kindern an ihrem Herzen verſammelt; zu den Seiten der Kreiſe, mit denen dieſe
edlen Frauengeſtalten eingerahmt ſind, erſcheinen jedesmal zwei köſtliche, aufrecht
ſtehende Kinderengelchen. Die Albertina zu Wien beſitzt eine meiſterhafte Feder-
zeichnung (Abb. 54), die mit dem Mittelbild dieſer Predella, der „Liebe“, im
weſentlichen übereinſtimmt, die aber inſofern rätſelhaft iſt, als ſie viel mehr an
Michelangelos Art zu zeichnen als an diejenige Raffaels erinnert. Bis 1608
prangte die „Grablegung“, in der vor allem die herrlichen, ausdrucksvollen Köpfe
die höchſte Bewunderung herausfordern, an ihrem Beſtimmungsorte; dann wurde
ſie troß laut erhobenen Widerſpruches von den Mönchen von S. Francesco an
den Kaͤrdinal Vorgheſe (Papſt Paul V.) verſchenkt; im Palazzo und ſpäter in
der Villa Vorgheſe zu Rom iſt ſie dann verblieben. Das Staffelbild blieb in
S. Francesco zu Perugia bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, wo es, wie
ſo zahlreiche andere italieniſche Kirchenſchätze, von dem franzöſiſchen Sieger nach
Paris entführt wurde; 1815 gelangte es in die Vatikanifche Pinakothek, die
Pius VII. aus den nach dem Sturze Napoleons zurückgegebenen Gemälden bildete.
 
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