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Knackfuß, Hermann; Raffael [Ill.]
Raffael — Künstler-Monographien, Band 1: Bielefeld, Leipzig: Verlag von Velhagen & Klasing, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.60844#0076
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Aufgabe bezwungen. Mit ſeiner Aufgabe wachſend, hatte er ſich zum größten
Meiſter der Freskomalerei ausgebildet, den es je gegeben hat. Wie er ſich
gewöhnte, die Dinge groß und einfach zu ſehen, das offenbaren ſelbſt die nach
der Natur gezeichneten Studien; das prächtige Blatt im Britiſchen Muſeum mit der
Gewandſtudie für den ſogenannten Horaz und den Studien zu den Händen der-
ſelben Figur (die rechte Hand in zwei verſchiedenen Stellungen) mag als Bei-
ſpiel dienen (Abb. 65). Raffael hat es mit der höchſten gottbegnadeten Meiſter-
ſchaft verſtanden, der Fülle der geiſtvollen Gedanken und der Durchbildung des
Ausdrucks und der ſchönen Formen das hinzuzufügen, was mehr als alles
andere das unlehrbare Kunſtgeheimnis der Malerei iſt: die maleriſche Haltung,
die dekorative Wirkung; ehe der Beſchauer dazu kommen kann, die einzelnen
Schönheiten aufzuſuchen oder in den Inhalt des Dargeſtellten einzudringen, kommt
ihm die Schönheit entgegen und nimmt ſofort und unmittelbar durch den Wohl-
klang der Linien, Maſſen und Farben den Blick und die Empfindung gefangen.
Daß innerhalb dieſer erſten und vornehmſten Eigenſchaft der Malerkunſt und
unbeſchadet dieſer Eigenſchaft ſich alle die anderen Vorzüge entfalten, welche die
bildende Kunſt zu entfalten vermag, damit iſt die denkbar höchſte Aufgabe der
Malerei gelöſt. Beim Betreten der Stanza della Segnatura, dieſes Allerheiligſten
der Malerkunſt, empfangen wir jenen vollen, überwältigenden Schönheitseindruck,
der auch ohne die Dolmetſcherarbeit des Verſtandes unſere Stimmung erregt, auch
heute noch, obgleich die unerbittliche Zeit nicht ſpurlos hier vorübergegangen iſt
und namentlich in bezug auf die Farben ihre grauſamen Merkmale gar deutlich
aufgeprägt hat. Noch herrlicher muß der Geſamtanblick des Raums geweſen ſein,
als die Verbindung zwiſchen den Wandgemälden und dem ſchönen Marmorfuß-
boden von eingelegter Arbeit noch überall, wo jetzt untergeordnete Malereien den
Sockel bilden, durch ein Intarſiatäfelwerk hergeſtellt war, das Julius II., damit
es der Bilder würdig ſei, durch den beſten Meiſter in dieſem Fache, Fra Giovanni
aus Verona, anfertigen ließ.

Der Anblick von Raffaels Arbeit hatte den Papſt bewogen, auch in dem
anſtoßenden Gemach die bereits fertigen Werke anderer Maler abſchlagen zu laſſen.
Sofort nach der Vollendung der Stanza della Segnatura nahm Raffael die Aus-
malung des Zimmers in Angriff, das unter dem Namen Stanza d'Eliodoro be-
kannt iſt. Die Beendigung dieſer Arbeit aber fand erſt nach dem Tode Julius' II.
(20. Februar 1518) ſtatt. Wenden wir uns daher zunächſt der Betrachtung der
anderweitigen Werke zu, die Raffael in den Jahren 1508 bis 1513 entſtehen
ließ; denn der jugendkräftige Meiſter war weit davon entfernt, in den großen
Wandgemälden ſein ganzes Schaffensvermögen auszugeben.

Eine anſehnliche Neihe von Marienbildern fällt in dieſe Zeit. In der Mehr-
zahl von ihnen gewahren wir einen leicht erkennbaren Unterſchied gegen die Floren-
tiner Madonnen. Die ſtille, innige Lieblichkeit genügt nicht mehr; die Bilder
werden ernſter im Ausdruck, ſie bekommen ein, wenn man will, mehr kirchliches
Gepräge, das ſich auch darin ausſpricht, daß das Chriſtuskind mehr als Maria
zur Hauptfigur wird; es lebt in ihnen ein Drang nach größerer Kraftentfaltung,
nach energiſcher Bildwirkung in Hell und Dunkel und in vollen Farben, nach
ſtark bewegten Linien und mächtiger Fülle der Formen; ſelbſt das Antlitz der
Jungfrau verändert ſich und ſpiegelt die kräftige Eigenart römiſcher Frauen-
ſchönheit wider. Florentiniſch zart iſt noch der Kopf der übrigens ganz römiſch
gedachten „Jungfrau mit dem Diadem“ im Loupre. In einer Landſchaft, deren
Hintergrund ſcharfgezeichnete kahle Berglinien bilden, wie das Sabinergebirge
ſie zeigt, während weiter vorn antike Gebäude und großartige Ruinen voͤn den
Eindruͤcken erzählen, die der Boden Roms auf den Ankömmling ausübte, ſchläft
auf einem Kiſſen der Jeſusknabe. Durch ein Diadem als Himmelskönigin ge-
kennzeichnet, kniet neben ihm die jungfräuliche Mutter; zwar kniet ſie nicht an-
betend da, wie wir es auf ſpätmittelalterlichen Bildern häufig ſehen, ſondern mit

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