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Knackfuß, Hermann
Dürer — Künstler-Monographien, Band 5: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.61322#0104
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Einzelholzschnitte


Abb. 89. Aus der Kupserstichpasston:
Christus in der Vorhölle (1512) (Zu Seite 87)

Holzschnitte mit längerem Text
in Reimen, den er selbst ver-
faßt hatte und durch Hinzu-
fügung des Monogramms als
sein geistiges Eigentum kenn-
zeichnete; er gab darin Lebens-
regeln, Ermahnungen zur Vor-
bereitung auf den Tod und
Betrachtungen über das Lei-
den Christi.
Die Jahreszahl 1511
findet sich auf mehreren Ein-
zelholzschnitten von besonderer
Schönheit. Da ist vor allem
das große Blatt „Die heilige
Dreifaltigkeit" — eine Neben-
frucht desLandauerschen Altar-
gemäldes —, ein erhabenes
Bild von wunderbar über-
irdischer Stimmung. „So sehr
hat Gott die Welt geliebt,
daß er seinen eingeborenen
Sohn dahingab", ist der In-
halt der Darstellung. Über den
Wolken, in denen die Winde
nach den vier Richtungen bla-
sen, thront Gott-Vater im end-
losen Raum, den die von der
Gottheit ausgehenden Licht-
strahlen erfüllen. Er hält den
Sohn in der Gestalt des ge-
marterten und getöteten Dul-
ders auf dem Schoße, und ein
Beben des Schmerzes geht
durch die Engelscharen, in denen die Zeichen von Christi Marter und Tod ge-
tragen werden (Abb. 81). Das Blatt ist ein Meisterwerk der Formschneidekunst,
es bringt jeden Strich des Zeichners klar zur Geltung. Dürer hatte die Kräfte,
deren er sich zum Schnitt seiner Holzzeichnungen bediente, jetzt so geschult, daß
er ihnen Aufgaben anvertrauen konnte, die, wie dieses Blatt, die volle Wirkung
und die Linienfeinheit eines Kupferstiches erreichten.
Ein anderer großer Holzschnitt aus demselben Jahre, „Die Messe des heiligen
Gregor", gehört ebenfalls zu den großartigsten Erzeugnissen von Dürers dich-
terischer Gestaltungskraft. Da sehen wir, wie vor den Augen des messelesenden
Papstes Gregor der Altaraufsatz zum Sarge wird, aus dem der Schmerzensmann
emporsteigt, umgeben von den Marterwerkzeugen und von übrigen bekannten
Wahrzeichen seines Leidens; wehklagende Engel verneigen sich vor der rührenden
Gestalt, die mit einem Blick unsäglicher Bekümmernis den Zweifler anschaut. Da-
hinter verschwimmt alles in dunklem Nebel, der sich wie ein Schleier vor die mini-
strierenden Bischöfe legt, sich zu dichten Wolkenmasfen ballt und mit dem Weih-
rauchdampf zusammenfließt. Es ist wunderbar, mit welcher Vollkommenheit hier
das Traumhafte einer Erscheinung zur Anschauung gebracht ist: mit greifbarer
Körperlichkeit steht das Gesicht vor dem Schauenden da, aber im nächsten Augenblick
wird es verschwinden, der Nebel wird zerrinnen, und der Begnadete und Bekehrte
wird nichts anderes erblicken als seine unbeteiligte nüchterne Umgebung (Abb. 82).

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