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Knackfuß, Hermann
Dürer — Künstler-Monographien, Band 5: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.61322#0129
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Das Bildnis Wolgemuts

99. (100.) Psalms in For-
men übersetzt: „Jubelt
Gott, alle Lande! Dienet
dem Herrn mit Freuden!"
— Wie in der Eingebung
des Augenblicks hinge-
schriebene Improvisatio-
nen voll Geist, Gemüt
und Geschmack treten all
diese mannigfaltigen Dar-
stellungen vor das Auge
des Beschauers. Aus dem
leichten Spiel der Künstler-
hand ist Blatt um Blatt
ein Meisterwerk hervor-
gegangen. Wenn man
mit Recht Dürers Aller-
heiligenbild neben Raf-
faels Disputa stellt, so ist
man in gleicher Weise be-
rechtigt, die Randzeich-
nungen in des Kaisers
Gebetbuch das deutsche
Gegenstück zu den vatika-
nischenLoggien zu nennen.
In ihren Figurendarstel-
lungen ist eine unerschöpf-
liche Fülle künstlerischer
Schönheit enthalten. Ihre
Ornamentik ist ganz frei
und selbständig, von der spätgotischen Zierkunst ebenso unabhängig wie von der-
jenigen der damaligen italienischen Renaissance. Die Reinheit der feinen ge-
schwungenen Linienzüge offenbart eine Leichtigkeit und Sicherheit der Hand, die
an das Unbegreifliche grenzt. Man wird an die alte Erzählung von Apelles
erinnert, der keinen Tag vorübergehen ließ, ohne sich im Zeichnen von Linien zu
üben. Dürer soll die Fähigkeit besessen haben, mit haarscharfem Strich einen
Kreis zu ziehen ohne die geringste Abweichung von der mathematischen Genauig-
keit. Wer die Randzeichnungen in Kaiser Maximilians Gebetbuch gesehen hat,
hat keinen Grund mehr, eine solche Tatsache zu bezweifeln.
Zm Jahre 1516 führte Dürer wieder einige Gemälde aus. Es sind Werke
von geringem Umfang, teils Bildnisse, teils Heiligenbilder. Eines der Bildnisse
ist dasjenige von Dürers Lehrer Wolgemut. Da tritt uns der ehrenwerte Meister,
der für sein hohes Ereisenalter noch recht rüstig aussieht und dessen kluge Augen
sich eine jugendliche Lebhaftigkeit bewahrt haben, mit einer Lebendigkeit entgegen,
die uns die ganze Persönlichkeit vergegenwärtigt (Abb. 107). Wolgemut war nie
ein großer Künstler gewesen, aber ein achtbarer Maler, der reichfarbige Altar-
bilder in biederer Komposition und fleißiger Ausführung angefertigt hatte. Dürer
hatte von ihm eine gediegene Unterweisung in dem Handwerklichen seiner Kunst
empfangen und bewahrte ihm eine dankbare Verehrung.
Während hier Dürers realistische Kunst voll in die Erscheinung tritt, zeigt ein
in der Gemäldegalerie zu Augsburg befindliches kleines Marienbild — „Madonna
mit der Nelke" genannt —, das aus wenig mehr als den Köpfen der Jungfrau
und des Jesuskindes besteht, den bei Dürer seltenen Versuch zu idealisieren. Es
mag sein, daß besondere Wünsche des Bestellers ihn zu einer Annäherung an

Abb. 114. Studie zu einem Engel. Weitzgehöhte Kreidezeichnung
In einer englischen Privatsammlung (Zu Sette 138)


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