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Koch, Alexander [Hrsg.]; Fuchs, Georg [Hrsg.]
Grossherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901: [ein Dokument deutscher Kunst] — Darmstadt, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3770#0023

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Grossherzog Ernst Ludwig

alle Berufenen auch vor einer strengen
Prüfung als Auserwählte bestehen können:
die Art und Weise wie die Verwirklichung
der Idee angebahnt wurde bekundete eben-
sowohl den hohen Ernst als das zweckmässig
abwägende Urteil ihres Urhebers, der das
Erreichbare zunächst zu erlangen suchte und
nicht in schwärmerischen Fantasieen sein
Genüge fand. Grosse, weitausschauende
Kultur-Pläne bewegten ihn, er selbst wollte
schöpferisch mitwirken an dem, was ihm als
die edelste und notwendigste Aufgabe seiner
Zeit erschien, und er begann sein Reform-
Werk bei der Basis: bei Handwerk und
Industrie, bei der Wohnungs-Gestaltung, bei
dem Geräte und der Kleidung, bei dem
Schmuck der Frauen, kurz, bei den Dingen,
die unseren Alltag, die breiteste Grundlage
unseres Lebens seelisch bestimmen durch die
Kraft ihrer Formen und Rhythmen.

Sein Werk: denn dieser Fürst kennt
nicht den etwas äusserlichen Ehrgeiz der
»Mäcene«, die da sammeln und Almosen
spenden, die geniessen und kaufen, die im
glücklichsten Falle schwärmen, danken und
aufmuntern und Jünger werben. Er wollte
ein persönliches Werk auf errichten mit Gleich-
gesinnten, und dass er solche in Einzelnen
fand und dass diese es ihm danken, das sagen
uns die Worte am Schlüsse der Eröffnungs-
Festschrift von Peter Behrens:

»Heute lebt wieder ein hoher Fürst, der
seine Zeit erkennt, und Er ist es, der diese
Gedanken in königlicher Hoffnung wünschend
trägt und in uns gab. So werden in Dank
und Liebe unsere Tage verschönt, und das,
was früher Arbeit hiess, wird zu segensreicher
Freude werden. Seele und Geist gepaart zu
glühender That: so entspringt das Zeugnis
einer grossen Zeit.«

Jetzt also scheint die Zeit erfüllt zu sein,
in der langsam und zaghaft der Geist Goethe's,
das kulturelle Wesen, welches von ihm aus-
strahlte, Leben werden soll, nach einem halben
Jahrhundert grauer Theorie. Wie uns die
vorstehenden Sätze bezeugen, handelt es sich
für den Grossherzog nicht um eine äusser-

liche Reform des Kunstgewerbes und um
eine willkürliche Modernisierung der Archi-
tektur seiner Residenz. Er will auch keine
»Kunst-Stadt« ä la München in Scene setzen
und am allerwenigsten eine devote Gesinn-
ungskunst züchten. Seine Absichten richten
sich vielmehr auf die ästhetische Erhebung
der ganzen Lebens-Gestaltung, kurz auf alles
das, was Goethe unter dem Begriff »Kultur«
zu verstehen pflegte. So mag es denn nicht
versäumt werden, darauf hinzuweisen, dass
auch das moderne, schöpferische Prinzip in
der Kunst der Wohnungs-Gestaltung im
Gegensatze zur altdeutschelnden Romantik
zuerst von Goethe ausgesprochen wurde.
Eckermann berichtet darüber unterm 17. Jan.
1827: Es war von einem Bücherschrank die
Rede, der einen gothischen Karakter habe;
sodann kam man auf den neuesten Geschmack,
ganze Zimmer in altdeutscher und gothischer
Art einzurichten und in einer solchen Um-
gebung einer veralteten Zeit zu wohnen.

»In einem Hause«, sagte Goethe, »wo
so viele Zimmer sind, dass man einige der-
selben leer stehen lässt und im ganzen Jahre
vielleicht nur drei-, viermal hineinkommt,
mag eine solche Liebhaberei hingehen und
man mag auch ein gothisches Zimmer haben,
sowie ich es ganz hübsch finde, dass Madame
Panckoucke in Paris ein chinesisches hat.
Allein sein Wohnzimmer mit so fremder und
veralteter Umgebung auszustaffieren, kann
ich gar nicht loben. Es ist immer eine Art
von Maskerade, die auf die Länge in keiner
Hinsicht wohlthun kann, vielmehr auf den
Menschen, der sich damit befasst, einen
nachteiligen Einßuss haben muss. Denn
so etwas steht in Widerspruch mit dem
lebendigen Tage, in welchen wir gesetzt sind,
und wie es aus einer leeren und hohlen
Gesinnungs- und Denkungsweise hervorgeht,
so wird es darin bestärken. Es mag wohl
einer an einem lustigen Winterabend als
Türke zur Maskerade gehen, allein was
würden wir von einem Menschen halten, der
ein ganzes Jahr sich in einer solchen Maske
zeigen wollte? Wir würden von ihm denken,
 
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