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Koch, Alexander [Hrsg.]
Alexander Koch's Handbuch neuzeitlicher Wohnungskultur (Band 2): Herrenzimmer — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.16214#0009
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Vom Herrenzimmer, Spielzimmer und Bibliotheksraum.

Das Herrenzimmer, die eigentliche Domäne des Hausherrn, spielt im Organismus
der neuzeitlichen Wohnung eine bedeutungsvolle Rolle. Gerade bei der gesteigerten
beruflichen und gesellschaftlichen Inanspruchnahme bedarf der Hausherr eines der Unruhe
des Familienlebens entzogenen Aufenthaltes und Raumes zu gesammelter Arbeit oder
ungestörter Erholung. In diesen beiden Begriffen sind zugleich die beiden Haupt-
funktionen des Herrenzimmers gegeben.

* * *

Als eigentlicher Arbeitsraum dient das Herrenzimmer in den Kreisen des Mittel-
standes für Viele zur Vorbereitung oder Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit. In der
Wohnung des Wohlhabenderen und im Eigenhause dagegen bedingen gesellschaftliche
Anforderungen und gesteigerte Lebenshaltung eine Erweiterung seiner Ausstattung. -
Zweckentsprechende Einrichtungen für das bürgerliche Herrenzimmer geschaffen zu
haben, ist ein Hauptverdienst unserer neuzeitlichen Wohnungskunst. Ich verstehe darunter
in erster Linie gute, praktische Schreibtische, zweckdienliche Bücher - Regale und
-Schränke, bequeme Sitzmöbel und stimmungsvolle Wandbekleidung durch Tapeten
oder Stoffe, die eine gute, geschlossene Raumeinheit ergeben. - Das eigentliche „Herren-
zimmer", wie es in der ausgedehnteren Wohnung und dem Eigenhause zu finden ist,
gliedert sich entsprechend seinen erweiterten Funktionen im wesentlichen in 3 Gruppen:
Der geräumige, gut belichtete Arbeitstisch mit Sessel wird zweckmäßig freistehend bzw.
derart zwischen zwei Fenstern angeordnet, daß er bequem umgangen werden kann und ein
freies Überblicken des Raumes gestattet; ein wichtiger Bestandteil ist eine gute, helleuchtende
Stehlampe von einfacher, edler Formgebung. Dem nachdenklichen Ausruhen und der Kon-
versation dient der Kaminplatz mit behaglichen Leder-Klubsesseln, - dem Spiel und der
Lektüre eine durch Warmwasserheizung gut erwärmbare Fensterecke oder ein geräumiger
Erker mit ringsumlaufendem, breitem Ledersofa nebst Spieltisch. Besonders behaglich
wirkt der Einbau einer Spiel- und Rauchecke in einer Nische. Noch höheren Anforde-
rungen entspricht ein eigenes, gutventiliertes Rauch- und Spielzimmer. Zur Be-
kleidung der Wände kommen meist dunkeltönige Tapeten in Frage, gegen den Rauch
unempfindliche Wandspannstoffe oder dunkle Holzvertäfelung. Die Bücher-Regale oder
-Schränke werden so an den Wänden verteilt, daß die Bücher vom Schreibtisch bzw. von der
Lese-Ecke aus bequem zu erreichen sind. Um eine ruhige Linienwirkung im Räume zu
erzielen, ist möglichst eine einheitliche Höhe der Schränke durchzuführen. Ob die Regale
offen bleiben oder mit Glas verschlossen werden, hängt wohl mehr vom Umfange und
der Benutzung der Bibliothek ab und ist im übrigen Geschmackssache. Jedenfalls bilden
die vielen Reihen schön gebundener Bücher ein nicht zu unterschätzendes deko-
ratives Moment des Herrenzimmers wie des Bibliothekraumes. Letzterer, ein be-
sonderes Vorrecht des Gelehrten oder Wohlsituierten, nimmt als Merkmal hochstehender
Kultur eine geachtete Stellung unter den intimeren Räumen des Hauses ein. Leichte Blei-
verglasungen oder mit zartfarbigem Unistoff überzogene Fenster verbreiten ein gedämpftes,
mildes Licht in dem Raum, dessen Vertäfelung, Decke und Mobiliar dem Kunsthandwerker
Gelegenheit zur Betätigung seines Könnens geben. Behagliche Chesterfieldsofas, weiche
Kissenpolster, schmale, hohe, geschnitzte Tische für die Bücherablage, ein Gobelin, ein
 
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