Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Koldewey, Robert; Puchstein, Otto
Die griechischen Tempel in Unteritalien und Sicilien: Text — Berlin, 1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5536#0146
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
140

DIE TEMPEL VON AKRAGAS

sonst hat uns der Boden von Akragas bisher nichts gespendet,
was von den in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts üblichen
Bauformen eine Vorstellung geben könnte; es fehlen sogar die
Terracottaverkleidungen, die man in einer Colonie von Gela er-
warten könnte.

Am ältesten ist in Akragas vielmehr erst der sogenannte
Herculestempel, ein im Grundriss einfacher und normaler Bau,
der weder nach seinen Formen noch nach seiner Technik den
hochaltertümlichen Bauten von Syrakus oder von Selinus
gleichkommt, sondern trotz einiger auf der Freiheit des archai-
schen Stiles beruhender Eigentümlichkeiten etwa an das Ende
des G. Jahrhunderts gerückt werden muss. Akragas setzt also,
was nicht zufällig sein wird, im wesentlichen mit den mo-
dernsten Formen der archaischen Periode ein, und die jüngste
grofse Colonie Siciliens tritt thatsächlich am spätesten in der
Geschichte der Architektur auf. Eine ähnliche Bemerkung ist
über die verhältnismäfsig sehr fortgeschrittenen Aufschriften
der ältesten Münzen von Akragas gemacht worden (Freeman 1380).

Wir können hiernach in der Zeitbestimmung des soge-
nannten Herculestempels unmöglich mit Freeman überein-
stimmen, der ihn, ohne einen Beweis dafür zu geben, zu den
nach dem Siege von Himcra errichteten Tempeln des 5. Jahr-
hunderts v. Chr. zählt und ihn in ein Bauprogramm mit ein-
geschlossen sein lässt, das Theron aiifgestellt hätte (II 192 ff.
und 349 ff.), und müssen demgemäfs auch seine Vermutung,
dass die ganze Mauer der Unterstadt erst von Theron stamme
und Akragas erst nach 480 v. Chi-, so erweitert worden sei,
für irrig halten. Denn wenn der Herculestempel zu denen
gehörte, deren Gottheiten die Ringmauer anvertraut war —
und Freeman rechnet ihn dazu, und es giebt auch keinen
Grund, ihn davon auszunehmen, so musste bereits in der
zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, jedenfalls vor Theron, der
ganze Umfang der Unterstadt limitiert und die südliche Maiier-
linie gezogen sein.

Die zweite historische und doch wohl kaum zu bezweifelnde
Nachricht über den Tempelbau in Akragas (vergl. Freeman
II 125) bezieht sich auf eine neue Periode der griechischen
Architektin', auf die Blütezeit im 5. Jahrhundert v. Chr.
Wiederum ist es der Demos, der auf der Akropolis einen
Tempel, nämlich einen Athenatempel fS. Marin dei Greci), wie
es scheint zur Ergänzung des Atabyrion, zu bauen unternimmt,
und als er sich wegen der Diebstähle auf den Werkplätzen
einem Bauunternehmer anvertraut hat, abermals betrogen und
mit Hülfe seines eigenen Geldes von dem Vater des Bauunter-
nehmers, Theron, im Jahre 488 v. Chr. geknechtet wird
(Polyaen VI 51). Der neue bis 472 regierende Tyrannos wird
den Tempel, dem er seine Herrschaft verdankte, sei es vor
oder nach 480, auch fertig gebaut haben, zumal da er noch den
grofsen Aufschwung miterlebt hat, den die Bauthätigkeit nach
dem glänzenden von ihm miterfochtenen Siege über die Kar-
thager, bei Himera, gerade in Akragas erfuhr. Was von dem
Athenatempel erhalten geblieben oder bisher zugänglich ge-
macht worden ist, lässt freilich doch nicht so viel erkennen,
wie man bei einem anscheinend sicher datierten Baue wünschen
möchte; man sieht gerade nur, dass er in den classischen Formen
des dorischen Stiles ausgeführt war.

Wie weit Theron auch an den prächtigen infolge der
glücklichen Schlacht bei Himera errichteten Bauten einen An-
teil gehabt hat oder wie weit sie dem Demos zum Ruhme an-
zurechnen seien, verschweigt die Ueberlieferung.

Freeman will, dass Theron zwar die ganze Stadtmauer
gebaut, aber die Tempel längs der Südmauer nur angefangen
habe, und er sieht in diesen ein Zeugnis für die glänzende
Periode der akragantinischen Freiheit und Blüte.

Bei Diodor XI 25 haben wir nur die allgemeine, immerhin
höchst wertvolle Notiz, dass 480 v. Chr. gerade Akragas in den
Besitz zahlloser kriegsgefangener Karthager gelangte und sie —
das vor 488 Begonnene fortsetzend - dazu verwendete, Steine
zu brechen und „die gröfsten Tempel" zu erbauen; auch die
Canalisation des Phaeax und die Kolymbethra soll von den
karthagischen Sklaven hergestellt worden sein. Unsere Unter-
suchung der Einzelheiten wird keinen Zweifel daran übrig
lassen, dass zu den Stiftungen für den Sieg bei Himera in
erster Linie das kolossale Olympion, diese glänzendste, wenn
auch nicht ganz fehlerfreie Leistung der akragantinischen
Architektur, zu rechnen ist. Es war höchst wahrscheinlich der
Bau, den man zuerst entwarf und zwar den grofsen Mitteln
entsprechend in riesigstem Malsstabe entwarf, dessen Aus-
führung und Formen man den vielen Sklavenhänden anpasste
und für den man in den Atlanten einen neuen und ungewöhn-
lichen aber zeitgemäfsen Schmuck ersann. Ob sich die Bauzeit
des Olympion wirklich bis zum Jahre 405 v. Chr., wo Akragas
von den Karthagern vernichtet ward, erstreckt habe, wird später
erörtert werden.

Das eben genannte Unglücksjahr hat jedenfalls für Akragas
die classische Periode des Tempelbauos abgeschnitten; es bildet
für die Bauzeit der meisten sonst noch hervorragenden Bauten,
sicher für die Erbauung des Megaron der Demeter (S. Biagio),
des sog. Juno- und des sog. Concordiatempels, die untere
Grenze, doch können sie lange vorher entstanden sein. Von
den beiden Peripteroi ist der „Junotempel" der ältere, aber
der „Concordiatempel" ist in seinen Formen so nahe mit ihm
verwandt, dass man keinen grofsen Zeitraum dazwischen an-
nehmen kann. Der „Concordiatempel" besitzt namentlich in
der Contraction zweier Axweiten an den Ecken ein iunseres
Element.

Da im griechischen Mutterlande die Baukunst des 5. Jahr-
hunderts v. Chr. dies Stadium der Ausgleichung der Säulen-
stellung nicht erreicht zu haben scheint, so könnte man den
„Concordiatempel", vorausgesetzt, dass die Entwickelung der
westgriechischen Architektur mit der im Mutterlande gleichen
Schritt gehalten hat, etwa später als die grofsen attischen
Bauten datieren, den „Junotempel" etwas früher. Doch sind
das sehr unsichere Combinationen. Beide Tempel, in mäfsigen,
übersichtlichen Gröfsenverhältnissen und mit sorgfältigster
Symmetrieberechnung aller Teile ausgeführt, sind classische
Beispiele für die edle Schlichtheit und Zurückhaltung des
vollendeten dorischen Stiles.

Tns 5. Jahrhundert ist möglicherweise auch die erste Anlage
der beiden kleinen Tempel hinter dem Olympion zu setzen.
Anderes, was aufserdem der Blütezeit seine Entstehung ver-
dankte, mag von den Karthagern so vernichtet worden sein,
dass es keine Spuren hinterliefs. Schon bei ihrem Einzug in
die Stadt litt der Athenatempel; Gellias hatte sich dahinein
geflüchtet und als er sah, dass von den Barbaren die in den
Tempeln ein Asyl Suchenden doch nicht verschont wurden, ihn
angesteckt und darin sich und die zahlreichen Anatheme ver-
brannt. Sonst begnügten sich die Karthager vorläufig mit der
Plünderung der eroberten Stadt und ihrer Heiligtümer; erst
im nächsten Frühjahr ordnete der karthagische Feldherr die
 
Annotationen