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Kraus, Franz Xaver [Hrsg.]
Die Wandgemälde der St. Sylvesterkapelle zu Goldbach am Bodensee — München, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.7997#0011
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I.

Wenige Stätten unseres deutschen Vaterlandes
haben in den letzten Jahrzehnten die Auf-
merksamkeit der Kunsthistoriker in so hohem Grade
auf sich gezogen als die kleine im Untersee, nahe
der alten Bischofsstadt Konstanz gelegene Insel
Reichenau. Von ihrer Stiftung durch St. Pirminius
(ca. 724?) an bis zum Ende des zehnten Jahrhunderts
zeigt die Abtei in ihrer Entwicklung eine aufsteigende
Bewegung: man kann die Regierungszeit des Abtes
Witigowo (985—997) als den Höhepunkt ihrer Macht-
entfaltung wenigstens nach der baugeschichtlichen
Seite bezeichnen.

Wir haben es hier zunächst nur mit den Denk-
mälern der Malerei zu thun, welche uns diese Epoche
hinterlassen hat. Die Quellen für die Geschichte
der Abtei bezeugen die ausgiebige Thätigkeit der
Reichenauer Mönche auf der Insel selbst, dann aber
auch in den benachbarten grossen Niederlassungen
des Benedictinerordens, St. Gallen und Petershausen.1)
Bis vor wenigen Jahrzehnten schien es, als habe sich
von dieser umfassenden Thätigkeit der Reichenauer
Maler nichts erhalten. Verloren sind die von Witi-
gowos Zeitgenossen Purchardus erwähnten Bilder an
der Klosterpforte und der Felderdecke der Haupt-
kirche auf der Reichenau, welche in der Zeit Witi-
gowos entstanden waren;2) längst zerstört sind die
Gemälde, mit denen, wie inschriftlich bezeugt war,
Reichenauer Mönche unter Abt Grimold (starb 872)
von St. Gallen die Pfalz wie die Basilika, das Claustrum
und angeblich auch die St. Othmarskirche daselbst
schmückten,3) und ebenso die bereits in früher Zeit
übertünchten Wandmalereien in der Abtei Petershausen

bei Konstanz, welche der Bischof Gebhard II (979
bis 995), wie wenigstens so gut wie sicher ist, durch
Reichenauer Meister im Langhause seiner Basilika
anbringen liess und welche die Concordia Veteris et
NoviTestamenti vorführten.4) Dann aber traten 1810 an
der Westapsis der kleinen unter Abt Witigowo in der
Oberzelle auf der Reichenau erbauten St. Georgskirche
grosse Reste alter Wandmalerei hervor, welche, lange
Zeit so gut wie unbeachtet, jedenfalls kunstwissen-
schaftlich nicht verwertet, erst 1870 durch Adler publi-
ziert wurden. Es war das Weltgericht mit der Kreu-
zigung. Im Jahre 1880 erfolgte dann die Aufdeckung
des an den Hochwänden der alten Basiliken ange-
brachten Cyklus, welcher acht Wunder Christi dar-
stellte: in meiner Publikation derselben 5) vertrat ich
den Satz, dass diese Fresken dem Ende des zehnten
Jahrhunderts zuzuweisen seien, etwa der Zeit, in
welcher der Trierer Egbertcodex6) (ca. 970) entstanden
ist; dass wir ferner in diesen Wandgemälden das
früheste Denkmal der monumentalen Malerei diesseits
der Alpen zu sehen haben und dass diese Malereien
nicht unter der Herrschaft des Byzantinismus stehen,
sondern sich in Anlehnung an die altchristlich-
römische Kunst bewegen.

Diese Annahmen sind in allem Wesentlichen
von Anton Springerl) übernommen und dahin erwei-
tert worden, dass die karolingisch-ottonische Kunst-
periode ein abgeschlossenes Wesen bildet, dass sie
eine retrospective Richtung zeigt, dass sich ihre
Malerei auf einer einheitlichen Grundlage entwickelt
hat, und dass diese Grundlage keine andere ist, als
die altchristlich-römische, ja dass sie diese gewisser-
massen abschliesse und als letztes Glied dieser retro-
spectiven Kunst anzusehen sei.

') Die Belege für die Bauthätigkeit der Reichenauer und
der beiden genannten Abteien St. Gallen und Petershausen
sind gesammelt bei Neuwirth, Die Bauthätigkeit der aleman-
nischen Klöster St. Gallen, Reichenau und Petershausen,
Wien 1884, und bei Kraus, Die Wandgemälde der St. Georgs-
kirchen u. ff. Kunstdenkmäler Badens I 326 f.

2) Purchards Carmen de gestis Witigowonis (Mg. SS.
IV 621); Kraus, Kunstdenkmäler Badens I 323.

3) Vgl. Kraus, Christliche Inschriften des Rheinlandes II
und 27; von Schlosser, Schriftquellen zur Geschichte der karo-
lingischen Kunst (Quellenschriften N. F. IV), Wien T892,
S. 321, wo die Quellen zusammengestellt sind.

4) Gas. S. Gall. I c. 23 (SS. XX 633). Vgl. die Zusammen-
stellung des Quellenmaterials bei Kraus, Kunstdenkmäler
Badens I 236 f.

5) Kraus, F. X., Die Wandgemälde der St. Georgskirche
zu Oberzell auf der Reichenau. Freiburg 1884. Dazu jetzt
meine Geschichte der Christlichen Kunst II 55 f.

6) Kraus, F. X., Die Miniaturen des Codex Egberti in der
Stadtbibliothek zu Trier. Freiburg i. B. 1884.

7) Springer, A., Deutsche Kunst im zehnten Jahr-
hundert (Westdeutsche Zeitschrift, 1884, III 201; wieder ab-
gedruckt in dessen 'Bilder aus der neueren Kunstgeschichte'
I» 113 f.)
 
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