Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

DOI Heft:
Nr. 3 (März)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0162
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ernst schreibt: „Erst jetzt erkannte ich klar die früher nie geahnten
Schwierigkeiten des Dramas, die nicht im dichterischen Können
liegen, wie die meisten glauben, nicht im Aufbau, wie die Wissenden
meinen, sondern in der geheimnisvollen Verbindung von Schicksal
und Wesen des Helden, die ein Erlebnis des Dichters sein muß
(ein religiöses Erlebnis, wie ich heute als fast Sechzigjähriger ein-
sehe). So trug ich Scheu und versuchte mich zuerst in der leichteren
Form der Novelle."
Schon der „schmale Weg zum Glück" war in novellistischen
Brocken geschrieben. Jeder Brocken hat in sich Geschlossenheit,
doch sind die einzelnen Erzählungen der unplastischen und kahlen
Wirklichkeit noch zu nahe, um mit Ernsts späterer Novellenkunst
verglichen zu werden, mit jener restlosen Meisterschaft, die das in
der Wirklichkeit oft nur psychologisch verständliche Geschehen
nach außen kehrt und ganz zu Körper werden läßt.
Mit seiner Wendung zur Novelle beginnt die reife Meisterschaft
Paul Ernsts. Ein neues Ethos tritt immer spürbarer hervor,
neue Ausdrucksformen stellen sich ein — bis in die Eigenart des
Stils läßt sich der vollständige Umschwung der Schaffensrichtung
feststellen. Wir verlassen den subjektiven, etwas manierierten, mit
den Tagesproblemen und der eigenen Vergangenheit noch ringenden
Künstler und gewinnen den Dichter Paul Ernst, dem jenes größte
Geheimnis des Schaffenden offenbar geworden ist: daß er nur
Durchgangspunkt ist, daß er auf mystische Weise im Schauen
jenen Funken aus der Ewigkeit empfängt, den er im Gestalten
Körper werden läßt. Nur ein Schauplatz dieser Umformung ist der
Dichter, und immer unwesentlicher muß ihm sein Ich erscheinen,
immer störender empfindet er dessen Einmischung in den Prozeß
des Schauens und Gestaltens. So geht der Mensch, das empfind-
same Ich, schließlich im Dichter unter — oder umgekehrt: der
Dichter formt den Menschen, wie er das Kunstwerk formt: zum
Allgemein-Menschlichen empor. Und was man an Goethe von je
staunend erkannt hat: daß sein Leben und seine Persönlichkeit
selber zum Kunstwerk wurden, das sehen wir ebenso an Paul Ernst:
dieser Mensch streifte alle Schlacken des gemeinen Lebens von sich
und wurde Gestalt — rein und echt und von lauterster Wahrheit.
In einem reichen Leben hat der Dichter immer mehr alles Sub-
jektive, Verworrene des Lebens zu der höheren, objektiven, der
gestalteten Wirklichkeit erhoben, die das Allgemein-Menschliche
bedeutet. Dichter und Werk sind eins geworden. Denn auch in
seinem Werk gestaltet er wieder und wieder diese „höheren
Menschen", denen alle Triebe, Wünsche und Begierden des Ich
fremd sind, die nur dieser einen Aufgabe leben: den andern Vorbild
und sichtbare Gestalt zu werden; die nur den einzigen und streng
verpflichtenden Wert kennen: die Wahrheit. Wahrheit um jeden
Preis und sei es um den Tod. Denn wahr ist das Allgemein-
Menschliche.

132
 
Annotationen